Comunità di S.Egidio


 

15/05/2007


Andrea Riccardi: Die Berufung der Christen in Europa
Vortrag beim Kongress der Geistlichen Gemeinschaften 2007 in Stuttgart

 

STUTTGART, 15. Mai 2007 (ZENIT.org).- �M�ssen wir uns nicht in prophetischer Weise als europ�ische Christen f�hlen? M�ssen wir nicht ein prophetisches Volk sein?�

Mit solchen Worten ermutigte Andrea Riccardi, Gr�nder der Gemeinschaft Sant�Egidio, am Samstag auf dem �kumenischen Europatag in Stuttgart die Christen, sich am Aufbau eines gerechteren Europas zu beteiligen. 9.500 Mitglieder aus 250 katholischen, evangelischen, orthodoxen und anglikanischen Gemeinschaften hatten die Tage zuvor ihr Miteinander f�r Europa besiegelt.

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Wenn ich die Menschen sehe, die hier versammelt sind, ist das eine Vision: europ�ische Frauen und M�nner, die vereint sind. Die Vision ist ein geeintes Europa � eine europ�ische Art, Deutsche, Franzosen, Italiener, Spanier, �sterreicher, Polen, Rum�nen, Briten... zu sein. Diejenigen, die ich nicht erw�hne, m�gen das entschuldigen.

Wenn die Institutionen erstarrt sind, die Prozesse sich verz�gern, die Politiker zaudern, wenn eine Gruppe die Verantwortung f�r die Verz�gerung der anderen zuschiebt, dann m�ssen wir europ�ische Christen den Mut aufbringen, ein gemeinsames europ�isches Empfinden zu f�rdern, das in den Herzen und Gedanken zu wohnen vermag. Wir sagen, es fehlen Propheten. Doch m�ssen nicht wir selbst ein prophetisches Volk sein?

Wir werden Propheten sein, wenn wir uns vom Wort Gottes n�hren und nicht vom Gerede und Geschrei leerer Debatten. Wer auf das Wort h�rt, kann als Prophet leben.

Das gemeinsame Christsein f�r Europa, liebe Freunde, hat prophetische Bedeutung. Ein prophetisches Volk besitzt auch die F�higkeiten, ein gemeinsames und verbindendes Empfinden hervorzurufen, das zu einer lebendigen Str�mung unter unseren europ�ischen Mitb�rgern wird, seien es Christen oder Nichtchristen, Gl�ubige oder Nichtgl�ubige. M�ssen wir nicht den Aufgaben und Diensten unserer Bewegungen diese entscheidende europ�ische Prophetie hinzuf�gen?

M�ssen wir uns nicht in prophetischer Weise als europ�ische Christen f�hlen? M�ssen wir nicht ein prophetisches Volk sein?

Wir hatten Propheten unter uns. Roger Schutz war unerm�dlich in Europa unterwegs, um die europ�ischen Jugendlichen aus Ost und West zum Gebet und zur Begegnung einzuladen. Fr�re Roger, ein evangelischer Christ aus der Schweiz, �u�erst beliebt bei den Katholiken, befreundet mit den Orthodoxen, sah das christliche Gebet als die Wurzel der Einheit. Wer wird den Mantel dieses Propheten aufnehmen?

Vielleicht werden unsere Tr�ume bescheiden. Wir ziehen uns zur�ck in die Formen unserer Gruppenidentit�ten, die uns Sicherheit geben. Es sind wundersch�ne Identit�ten, sie sind meine Identit�t. Wir m�ssen sie vertiefen und bewahren. Doch wir alle m�ssen unter den Mantel des Propheten treten und ein Volk europ�ischer Christen sein, ein prophetisches Volk durch die verschiedenen Traditionen, Charismen, Spiritualit�ten und Kirchen, doch alle mit der F�higkeit, die Europ�er in Richtung auf eine gemeinsame Bestimmung mitzurei�en und einzubeziehen. Wir haben eine gemeinsame Bestimmung. Das m�ssen wir unseren Mitb�rgern als eine �berzeugung, eine Vision und eine neue Leidenschaft vermitteln.

Welche Zukunft werden wir ohne ein gemeinsames europ�isches Schicksal bei der gro�en Begegnung mit der Zukunft haben � einer Zukunft, die zu einem gro�en Teil aus der asiatischen Kultur und den Massen Asiens bestehen wird, wir als Deutsche, Belgier, Niederl�nder, Ungarn, Portugiesen und andere Europ�er? Europa ist nicht der Mittelpunkt der Welt, und die Geschichte von morgen besteht aus gro�en Welten, die anders sind als die unsrige.

Ich sage das nicht, um dem Kampf der Kulturen Recht zu geben. Doch wir haben die Welt von morgen nicht in der Hand. Wir m�ssen dabei sein als Europ�er. Wir besitzen kostbare Werte mit einem Reichtum an Freiheit, Glauben, Solidarit�t, Kultur und Menschlichkeit, die wichtig sind f�r die Zukunft der Welt. Wir d�rfen uns nicht verirren, denn dann w�rde ein wichtiger Teil der Menschlichkeit in der heutigen Welt verloren gehen.

Getrennt jedoch werden wir uns zerstreuen und verirren � und das verlieren, wof�r wir einstehen. Die Angst, unser nationales Umfeld zu verlieren, verlangsamt die Einigung. Doch mit der Zeit wird auch der Reichtum unserer nationalen Gebilde verloren gehen, die sich, wenn sie bleiben wie sie sind, zur Provinz und dann zum belagerten Ghetto entwickeln werden. Vereint, als in der Verschiedenheit vereinte Europ�er, werden wir in der heutigen Welt eine freundliche und solide Kraft sein: eine Quelle der Menschlichkeit.

Wir m�ssen die Leidenschaft f�r Europa und die einigende Kraft unter unseren europ�ischen Mitb�rgern zum Wachsen bringen. Das ist keine vage Leidenschaft. Europ�er in der Welt zu sein wird zu einer Berufung.

In dieser unserer Welt k�nnen auch wenige- und so wenige sind wir nicht - die Zukunft beeinflussen. Haben am 11. September 2001 wenige durch den Terrorismus die ganze Welt verwirrt und Tod gebracht, so k�nnen wenige oder viele mit dem Traum vom vereinten Europa vielen Europ�ern Frieden und Ideale anbieten. Das ist der europ�ische Humanismus, der in der Lage ist, Frieden aufzubauen.

Die Christen k�nnen das Herz dieses Humanismus sein. Wer das Evangelium liebt, liebt den Menschen. In einem alten christlichen Text hei�t es: �Seid niemals froh, wenn ihr euren Bruder nicht mit Liebe betrachtet.� Die Fr�hlichkeit und die Kraft der Menschlichkeit der Christen bestehen darin, den Bruder mit Liebe zu betrachten.

Daher m�ssen wir fordern, dass in Europa die Gerechtigkeit w�chst: Der Skandal einer zu gro�en Armut muss ein Ende finden. Wir m�ssen Gerechtigkeit gegen�ber dem Leben einfordern, wenn es schwach ist: dem Leben der Ungeborenen, der Kinder, der Kranken, der alten Menschen. Der europ�ische Humanismus betrifft nicht nur die, denen es gesundheitlich und finanziell gut geht. Ein geeintes Europa bedeutet auch ein Europa, das sich nicht von seinen kleinen Mitb�rgern trennt und entfernt, vom schwachen und entstehenden Leben, von seinen alten Menschen, von seinen Armen. Wir m�ssen voll Liebe auf die Gesichter dieser Schwachen schauen. Das ist f�r uns nicht nur eine Forderung, sondern eine Verpflichtung zur Liebe, die jeden Tag gelebt werden muss.

Doch wie kann man froh sein, wenn es unserem gro�en Nachbarn schlecht geht? Unser Nachbar ist Afrika, das gro�e Afrika s�dlich der Sahara. Seit 2004 ist der europ�ische Einsatz f�r Afrika nicht gewachsen, vielleicht hat er sich verringert. Geht die Politik in eine andere Richtung? F�r uns Christen darf Europa nicht allein oder f�r sich selbst leben. Wir haben einen gro�en Nachbarn: Afrika, das Afrika der Kriege, mit noch bestehenden Konflikten wie im Darfur, das Afrika der 30 Millionen HIV-Positiven � von 42 Millionen weltweit �, das Afrika, in dem mehr als zwei Drittel der Bev�lkerung vom Wohlstand ausgeschlossen sind.

Als Europa werden wir vereint und froh sein, wenn wir mit Anteilnahme auf Afrika schauen. Afrika hat mit uns ein gemeinsames Schicksal: entweder wir leben zusammen oder wir werden zusammen untergehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach ein gro�er Afrikaner und gro�er Christ, der Senegalese Senghor, vom Horizont Eurafrika: Europa und Afrika gemeinsam. Europa wird in dem Ma� geeinter sein, in dem es mit Afrika zu leben vermag.

Miteinander f�r Europa muss nach dieser Begegnung zu einer Bewegung von Gef�hlen und Ideen in den europ�ischen L�ndern werden, damit Europa auf Afrika schaut, damit es seine Seele mit Menschlichkeit n�hrt, damit ein Strom der Leidenschaft f�r die Einheit das Erstarrte und die Grenzen fortrei�t. Miteinander f�r Europa, liebe Freunde, ist keine sch�ne Kundgebung, sondern es dr�ckt eine Bestimmung aus, die wir als Berufung f�r uns Christen empfinden, als Chance f�r unsere Mitb�rger, als Gabe f�r die ganze Welt. Es ist eine tief reichende Str�mung in der Geschichte. Und diese Str�mung wird am Ende mitrei�end sein und viele mit einbeziehen.

[Vom Leitungskomitee �Miteinander f�r Europa� ver�ffentlichtes Original]