München (DT/KNA) Nach den Worten des Münchner Kardinals Reinhard Marx und des bayerischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm gehören Gebet und Handeln zusammen. Ein radikales Bekenntnis zu Christus bedeute auch radikalen Einsatz für die Schwachen, sagte Bedford-Strohm am Samstagabend in München. Dabei verwies er unter anderem auf das Engagement beider Kirchen in der Flüchtlingsarbeit. Marx stimmte zu und erinnerte daran, dass Gott nicht exklusiv, sondern für alle da sei. Deshalb gelte es, gemeinsam Christus zu bezeugen.
Beide betonten die starke Verbindung ihrer Kirchen. „Wir sprechen nicht von einem evangelischen, katholischen oder orthodoxen Christus. Es ist der eine Herr, von dem wir reden“, sagte Bedford-Strohm. Er verwies darauf, dass die Protestanten 2017 erstmals ein Reformationsgedenken nicht zu ihrer Selbstprofilierung feierten. Im Geiste von Martin Luther solle es ein Christusfest mit den Katholiken werden. Marx wiederum tat den Wunsch kund, dass dann deutlich werden möge: „Diese Christen bekommen wir nicht mehr auseinander. Die gehören zusammen.“ Die beiden Bischöfe waren die letzten Gäste der Abschlusskundgebung des Kongresses „Begegnung. Versöhnung. Zukunft“ in München, veranstaltet von der Initiative „Miteinander für Europa“.
Dazu hatten auch Papst Franziskus und der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. Videobotschaften geschickt, in denen sie die Christen aufriefen, für ein vereintes Europa einzutreten. Das Oberhaupt der katholischen Kirche sagte, es sei Zeit, sich zusammenzutun, „um mit wahrhaft europäischem Geist die Problematik unserer Zeit anzugehen“. Vielleicht habe es noch nie eine solche Notwendigkeit gegeben, zusammenzustehen und solidarisch zu handeln, ergänzte Bartholomaios.
Der Gründer der katholischen Laieninitiative Sant'Egidio, Andrea Riccardi, rief zum Bau von Brücken zwischen den Menschen auf. Alle Christen und all jene, denen die Zukunft Europas am Herzen liege, sollten sich dafür einsetzen. Sein Anliegen trug der Präsident von Sant'Egidio, Marco Impagliazzo vor. Riccardi konnte nicht wie geplant anwesend sein, da er für eine neue Friedensmission kurzfristig nach Mosambik reisen musste. Seinen Worten zufolge ist „Miteinander für Europa“ heute nicht mehr nur das Thema einer ökumenischen Initiative, sondern auch ein Imperativ für alle. Mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs würden vielfältige neue Barrieren errichtet, die den Kontinent nicht mehr nur zerteilten, sondern viele Einschnitte zufügten.
Doch es sei ein Trugschluss zu glauben, dass mit dem Bau von Mauern die Tragödien der Welt verdrängt werden könnten. Sie schafften vielmehr weitere innere Mauern zwischen europäischen Ländern, Nation und Vierteln in derselben Stadt. Statt Mauern müssten Brücken errichtet werden, forderte Impagliazzo im Namen von Riccardi. Notwendig seien solche zu Menschen, Völkern, Kulturen und Religionen. Eine neue Zeit sei im Entstehen, mit der es sich zu beschäftigen gelte. Dabei helfe es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Ein aufgespaltenes Europa könne sich in keine Richtung bewegen. Die Älteren hätten miterlebt, wie ein „Staatenbund der Staaten“ in Europa entstanden sei, den die Jüngeren wiederum als Erbe empfangen hätten. Europa dürfe aber nicht nur eine Sache der Väter sein. Die Jugend solle den Ehrgeiz aufbringen, ein Europa ohne Mauern zu bauen, das hoffnungsvoll auf die Welt von morgen blicke.
Impagliazzo rief die Christen dazu auf, in Europa mitzuhelfen, die Gegensätze von Arm und Reich wie von Nord und Süd zu überwinden. Es sei ihre Aufgabe, die Menschen wieder zusammenzuführen, sagte Impagliazzo am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur. Zugleich bedauerte er, dass es im Zeitalter der Globalisierung einen großen Drang zur Verflachung gebe. Die große Aufgabe der Religionen sei es deshalb, das Gedächtnis wiederzuerwecken, wie sich der europäische Kontinent in den letzten 70 Jahren in Frieden entwickelt und seine Werte verteidigt habe. Sorge mache ihm die Selbstbezogenheit der Menschen und der Länder, sagte der Präsident. „Es fehlt an einer positiven Einstellung gegenüber den Anderen.“ In Bezug auf eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingsproblematik, etwa bei den katholischen Bischöfen in Europa, sehe er aber durchaus eine gute Entwicklung. Allerdings gehe es auch in der Kirche noch zu langsam. Als Beispiel für eine Lösung führte er sogenannte humanitäre Korridore für Flüchtlinge an, für die sich Sant'Egido und die Kirchen stark machten. In Italien sei dies schon umgesetzt, in Polen und Frankreich sei man noch dabei. Diese Initiative basiere auf den europäischen Verträgen, erläuterte Impagliazzo. So könne jedes EU-Land territorial beschränkte, humanitäre Visa erteilen. Bisher habe nur kein Mitgliedsstaat von dieser Regel Gebrauch gemacht. Sant'Egidio habe dies mit den Kirchen Italiens der Regierung vorgeschlagen. Ziel sei es, syrische Kriegsverletzte, kranke Kinder und Behinderte aus dem Libanon mit einem Linienflugzeug nach Italien auszufliegen. Das erschwere das Geschäft der Schlepper. Die Betroffenen wiederum machten eine sichere Reise „und werden schon identifiziert, bevor sie ihre Visa bekommen“. Aufnahme und Integration würden von den beteiligten christlichen Organisationen übernommen, einschließlich der Kosten, so der Präsident. Auf diese Weise seien 300 Personen innerhalb weniger Wochen nach Italien ausgeflogen worden.
Die Initiative „Miteinander für Europa“ entstand nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. In dem Dokument erklärten die katholische Kirche und der Lutherische Weltbund 1999 nach jahrelangen theologischen Debatten, dass eine der zentralen Lehraussagen der Reformatoren heute keine Kirchentrennung mehr begründen kann. Inzwischen haben sich weitere Konfessionen dem Konsens angeschlossen.