Comunità di Sant'Egidio - Napoli 2007 - Per un mondo senza violenza - Religioni e Culture in dialogo Comunità di Sant'Egidio - Napoli 2007 - Per un mondo senza violenza - Religioni e Culture in dialogo
 

Heinrich Mussinghoff - Katholischer Bischof, Deutschland

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Comunit� di Sant'Egidio

22/10/2007 - 09:30 - Auditorium - Hotel Royal Continental
PANEL 1 - Eine Seele f�r Europa

Heinrich Mussinghoff
Katholischer Bischof, Deutschland

50 Jahre Friedensordnung f�r Europa

Geboren wurde die Idee eines einigen Europa aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, der Tr�mmer, Leid und Tod in Europa zur�cklie�. Es war die Idee dreier weitblickender Politiker, die das Projekt eines vereinten Europa entwickelten: des Italieners Alcide de Gasperi, des Franzosen Robert Schuman und des Deutschen Konrad Adenauer. 50 Jahre sind seit der Unterzeichnung der R�mischen Vertr�ge vergangen.

Papst Pius XII. hatte 1953 die Einigung Europas begr��t. Man sp�rt seinen Worten noch heute das Dr�ngen auf Taten an: "Die Zeit scheint also reif daf�r, dass die Idee Wirklichkeit werde .. Warum noch zaudern? Das Ziel ist klar, die Bed�rfnisse der V�lker liegen offen vor aller Augen. Dem, der im voraus eine absolute Garantie f�r einen gl�cklichen Ausgang haben m�chte, muss man antworten, dass es sich wohl um ein Wagnis, aber um ein notwendiges Wagnis handle, um ein Wagnis jedoch, das den gegenw�rtigen M�glichkeiten entspreche, um ein vern�nftiges Wagnis .. Wer absolute Gewissheit verlangt, beweist keinen guten Willen gegen�ber Europa."

Die Montanunion war mit gutem Erfolg vorausgegangen. Die "North Atlantic Treaty Organisation" (NATO) sekundierte als Verteidigungsvertragswerk die R�mischen Vertr�ge. Aus einer

Zollunion entwickelte sich die Europ�ische Wirtschaftsgemeinschaft, die auf eine Europ�ische Union mit gemeinsamer Au�en- und Sicherheitspolitik zielt. Aus dem Bund von sechs L�ndern wurde eine Union von 27 Staaten. Und damit erf�llte sich, was Papst Johannes Paul II., der wesentlich zum Zusammenbruch des atheistischen Kommunismus und des Staatssozialismus mit seinen �berwachungssystemen 1989 beigetragen hat, prophetisch voraussagte: "Europa muss auf zwei Lungenfl�geln atmen." Ost und West geh�ren zusammen.

Die Europ�ische Union ist eine Frieden schaffende und Frieden sichernde Kraft geworden. Sie will Konfliktl�sung und Konfliktvermeidung ohne Waffen. Seit 50 Jahren genie�en wir innerhalb der EU Frieden. Ich kann davon mitreden, weil mein Gro�vater als Soldat im Ersten Weltkrieg in Frankreich fiel und mein Vater im Zweiten Weltkrieg in Rum�nien vermisst wurde.

Europa braucht nach innen eine integrale Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft und einen Ausbau der sozialen Sicherheiten, die in einer Zeit dynamischer Globalisierung neuer internationaler Steuerungsmechanismen bedarf. Europa muss nach au�en eine neue Verantwortung auf sich nehmen. Nicht Abschottung gegen die Eine Welt kann das Ziel sein, sondern eine gerechte, auf das Weltgemeinwohl bezogene Ordnung und Politik.

Europa hat eine besondere Verantwortung f�r Afrika, den vergessenen Kontinent. Wir m�ssen erkennen, dass die europ�ischen Kolonialm�chte diesen Kontinent ausgepl�ndert haben, indem wir Sklavenhandel trieben und den Kontinent dann wirtschaftlich und kulturell ausgebeutet haben. Wir m�ssen deutlich machen, dass wir Afrikas Seele und die W�rde der afrikanischen V�lker wieder herstellen m�ssen. Wir Europ�er haben hier eine Bringeschuld. Das geh�rt zu einer verantwortlichen Au�enpolitik der Europ�ischen Union, die wir dringend brauchen.

Europa hat eine besondere Verantwortung f�r Israel und Pal�stina. Beim Besuch des St�ndigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz im Heiligen Land (M�rz 2007) wurde deutlich von israelischer und pal�stinensischer Seite die Erwartung aktiver Unterst�tzung der Europ�ischen Union f�r einen Prozess ausgesprochen, der mit Geduld und Best�ndigkeit die notwendigen Schritte auf ein ertr�gliches und letzten Endes friedliches Zusammenleben des israelischen und pal�stinensischen Volkes zielt, eine Aktion, in die UNO, USA und Russland einbezogen sein m�ssen (Nahost-Quartett).

Das bedeutet Sicherheit und Anerkennung des Existenzrechtes Israels. Das bedeutet Anerkennung der M�glichkeit eines pal�stinensischen Staates, der unabh�ngig und frei ist und nicht eingeengt wird durch Mauer, Siedlungsbau und Checkpoints, auch wenn der Bruderkrieg zwischen Fatah und Hamas zur Zeit dem Handeln enge Grenzen setzt. Grunds�tzlich aber gilt es, die Entwicklung beider V�lker zu f�rdern durch wirtschaftliche und bildungsm��ige Unterst�tzung. Wer Brot und Arbeit hat, wird kein Terrorist. Viele Chancen sind derzeit vertan und nicht genutzt. Es bedarf einer beherzten Initiative, in der auch die arabischen Staaten ihre Verantwortung �bernehmen m�ssten.

Dringlich nach innen ist die politische Konsolidierung der EU nach dem geschehenen und gew�nschten Beitritt so vieler Staaten Ost- und S�deuropas.

(Der Beitritt der T�rkei ist mir nicht behaglich, weil ich die unmittelbare Nachbarschaft mit Krisenstaaten wie Libanon, Syrien und Irak f�rchte. Wir werden viel schneller in Konflikte dieser asiatischen Region einbezogen.)

II. Ein Pl�doyer f�r einen europ�ischen Grundlagenvertrag

und die Stellung der Kirchen

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1. Zum Europ�ischen Grundlagenvertrag

Die Europ�ische Verfassung ist zun�chst durch die ablehnenden Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden gescheitert. Die Erweiterung der EU aber verlangt, dass sie politisch handlungsf�hig bleibt. Deshalb ist ein Grundlagenvertrag �ber die Verfasstheit der Union unerl�sslich. Ich hoffe, dass es gelingt, einen verl�sslichen Fahrplan f�r ein (ggf. modifiziertes) Vertragswerk zu verabschieden. Die EU braucht eine verl�ssliche fundamentale politische Grundlage.

Zentrales Anliegen eines Grundlagenentwurfs ist der Schutz von Menschenw�rde und Menschenrecht. Die F�rderung des

(Welt-)Gemeinwohls sollte als Grundprinzip und Kernziel des Verfassungswerkes festgeschrieben werden und damit die Verpflichtung der Europ�ischen Union zum Dienst am Gemeinwohl durch eine Politik der Solidarit�t innerhalb der Union wie auch au�erhalb im Verh�ltnis zu den Staaten der Welt, besonders zu den armen L�ndern und Menschen. Schlie�lich sollten Subsidiarit�t und Partizipation Gestaltungsprinzipien der Union werden sowohl hinsichtlich der beteiligten Staaten und L�nder

wie auch hinsichtlich der zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, Institutionen und Kulturbereiche.

Die Europ�ische Union soll sich zur Europ�ischen Grundrechtscharta bekennen: "Die W�rde des Menschen ist unantastbar". Der Mensch ist allem gesellschaftlichen und staatlichen Handeln vorgeordnet. Er ist Person � Individuum und soziales Wesen -, die der Freiheiten bedarf und nach einer Ausstattung an G�tern verlangt, die ihr ein Leben in der Gesellschaft erm�glichen. Als Kirche weisen wir darauf hin, dass in einem Grundlagentext �ber die Verfasstheit der Europ�ischen Union eine rechtlich verbindliche Charta der europ�ischen Grund- und Menschenrechte wichtig ist.

Nat�rlich bleiben auch W�nsche bei der unter Roman Herzog (dem ehemaligen deutschen Bundespr�sidenten) erarbeiteten Grundrechtscharta offen wie etwa ein klares Bekenntnis zu Ehe und Familie, die unter den besonderen Schutz der staatlichen Gewalt gestellt sein m�ssten (vgl. Art. 6 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland). Der eigent�mliche Wechsel von Person und Mensch in den Grundrechten gibt zu Fragen Anlass: Gibt es Personen, die keine Menschen sind? Gibt es Menschen, die keine Personen sind? Wichtige Fragen, die entscheidend sind f�r den Schutz des vorgeburtlichen menschlichen Lebens und des Endes des Lebens (Euthanasie). Ich will diese Fragen nur andeuten.

Jean Monet hat gesagt: "Europa ist ein Beitrag f�r eine bessere Welt." Diese Verantwortung muss Europa aktiv wahrnehmen bei der Integration Europas nach innen, auch unter Einbeziehung der ost- und s�dosteurop�ischen Staaten wie nach au�en durch eine Friedens- und Entwicklungspolitik f�r Afrika, Asien und Lateinamerika. Europa ist gerufen, eine Au�en- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, die dem Frieden dient, die Menschenrechte und Grundfreiheiten sch�tzt, die die internationale Sicherheit st�rkt, die die internationale Zusammenarbeit f�rdert und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entwickelt und st�rkt.

2. Zur Stellung der Kirchen in Europa

Sollte der Grundlagenvertrag etwas zu Christentum und Religion sagen? Als Kirche vertreten wir die Meinung: Ja, unbedingt. Religion, insbesondere das Christentum geh�rt in das geistige Erbe Europas. Es gr�ndet in j�dischen Wurzeln. Es hat in Geschichte und Gegenwart muslimische Anteile. Wir, die christlichen Kirchen in Europa, w�nschen, dass in einem Grundlagenvertrag der Bezug auf das geistige, religi�se und sittliche Erbe Europas aufgenommen und die j�disch-christlichen Wurzeln benannt werden.

Dass Kirchen und Religionen �ffentliche Wirksamkeit in unserer europ�ischen und deutschen Gesellschaft haben und damit auch eine �ffentliche Angelegenheit sind, ist unbestreitbar. Wir brauchen bei uns nur auf kirchliche Krankenh�user, Kinderg�rten und Sozialeinrichtungen zu schauen, kirchliche Schulen, Akademien und Bildungseinrichtungen zu betrachten, die Denkmalspflege bei Kirchen und an deren kirchlichen Geb�uden zu ber�cksichtigen. Wir brauchen nur den Wert �ffentlicher Konsultationsprozesse einzusch�tzen, wie sie die deutschen Bisch�fe 1983 mit ihrem Wort "Gerechtigkeit schafft Frieden" oder 1994-1997 mit ihrem Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland "F�r eine Zukunft in Solidarit�t und Gerechtigkeit" eingeleitet haben.

Ich will aber auch den hohen kulturellen Wert sonnt�glicher und feiert�glicher Gottesdienste in unseren Kirchen erw�hnen, die Menschen zur Verehrung und Anbetung Gottes und zum Tun der N�chstenliebe anleiten und so den Himmel �ber den von Diesseitigkeit vereinnahmten Menschen offenhalten. Wir brauchen Dome, Kathedralen und Kl�ster, in denen christliches Beten Zeugnis gibt vom transzendenten Gott. Wir brauchen andere St�tten des Gebetes, f�r die Vertreter anderer Religionen.

Bei allen Rissen und Br�chen, bei allen Umbr�chen und Neuorientierungen in unserem gesellschaftlichen und kirchlichen Leben scheint mir wichtig, den entscheidenden Beitrag von Kirchen und Religionen im Auge zu behalten, den sie f�r die Grundlegung ethischer Grundhaltungen in unserer Gesellschaft leisten wollen und k�nnen. Daf�r brauchen sie Grundfreiheiten und Entfaltungsm�glichkeiten.

Wir sind der Meinung, dass in einem Grundlagenvertrag die Religionsfreiheit in ihrer individuellen, kollektiven und institutionellen Dimension und der Respekt vor den nationalen Staat-Kirche-Verh�ltnissen verankert (die Erkl�rung Nr. 11 des Amsterdamer Vertrages) sowie ein strukturierter Dialog zwischen Europ�ischer Union und Kirchen und Religionsgesellschaften festgeschrieben werden sollen, wie es I., Art. 52 vorsieht.

Manche bef�rchten, dass jedwede Erw�hnung des Religi�sen die Trennung von Staat und Kirche und das "la�cit�"-Prinzip gef�hrden k�nnte. Angesichts der drei Hauptsysteme in Europa von Staatskirche, von strikter Trennung und von grunds�tzlicher Trennung bei Kooperation von Staat und Kirche zum Nutzen der Allgemeinheit wird so gerade die Diversit�t der Staatskirchenrechte gesch�tzt, in Frankreich die Laizit�t, in anderen L�ndern andere Modelle.

Als Kirchen in Europa w�nschen wir einen ausdr�cklichen Gottesbezug in der Pr�ambel (invocatio Dei), weil der Gottesbezug einer Verfassung f�r pluralistische und s�kulare Gesellschaften eine B�rgschaft gegen Totalitarismen ist, die Europa im letzten Jahrhundert als Nationalsozialismus und Faschismus, als atheistischen Kommunismus und Staatssozialismus leidvoll erfahren musste. Ein Gottesbezug, der auch andere Quellen menschlicher Verantwortung einschlie�t, wird den demokratischen Konsens immer wieder auf dessen menschenrechtliche Substanz hinterfragen.

Denn � um nur ein Beispiel zu nennen � wer garantiert eigentlich, dass eine demokratisch legitimierte Entscheidung nicht doch in die gentechnologische Manipulation und Unterwerfung des uns anvertrauten Menschen f�hrt?

Religion und Gottesbezug in der Verfassung helfen, den freiheitsverb�rgenden Primat der Politik und die Gestaltung gerechter Gesellschaften zu sichern. Der Gottesbezug verweist auf eine Zukunft Europas jenseits des blo�en Ausbaus bestehender �konomischer und ideologischer Dominanzen. Der Gottesbezug ist Ausdruck der Bewahrung des europ�ischen Ged�chtnisses. Gegen allen blo�en Pragmatismus in der Politik kann Religion der Stachel im Projekt der Moderne sein, welcher ihre humanen Verhei�ungen rettet oder neu aufruft.

Mir scheint der Textvorschlag gut, der sagt: "Im Bewusstsein der menschlichen Verantwortung vor Gott und ebenso im Bewusstsein anderer Quellen menschlicher Verantwortung sind die V�lker Europas entschlossen, eine friedliche Zukunft zu gestalten. Eingedenk ihres geistigen, religi�sen und sittlichen Erbes gr�ndet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der W�rde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarit�t."

Es ist unsere christliche �berzeugung, dass Gott in Zeit und Ewigkeit der Garant f�r Menschenw�rde und Menschenrecht, f�r Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit ist. Es ist Aufgabe der Menschen, V�lker und Staaten Europas, Menschenw�rde und Menschenrecht zu achten und Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen.

Papst Johannes Paul II. hat (bei der Verleihung des Au�erordentlichen Internationalen Karlspreises zu Aachen am 25. 3. 2004) seinen Traum eines geeinten Europas erz�hlt, der uns ermutigen will:

"Ich denke an ein Europa ohne selbsts�chtige Nationalismen, in dem die Nationen als lebendige Zellen kulturellen Reichtums wahrgenommen werden, der es verdient, zum Vorteil aller gesch�tzt und gef�rdert zu werden.

Ich denke an ein Europa, in dem die gro�en Errungenschaften der Wissenschaft, der Wirtschaft und des sozialen Wohlergehens sich nicht auf einen sinnentleerten Konsumismus richten, sondern im Dienst eines jeden Menschen in Not sowie der solidarischen Hilfe f�r jene L�nder stehen, die ebenfalls das Ziel der sozialen Sicherheit verfolgen. M�ge Europa, das in seiner Geschichte so viele blutige Kriege hat erleiden m�ssen, ein t�tiger Faktor des Friedens in der Welt sein.

Ich denke an ein Europa, dessen Einheit in einer wahren Freiheit gr�ndet. Die Religionsfreiheit und die gesellschaftlichen Freiheiten sind als edle Fr�chte auf dem Humus des Christentums gereift. Ohne Freiheit gibt es keine Verantwortung: weder vor Gott noch gegen�ber den Menschen ...

Ich denke an ein Europa durch das Engagement der jungen Menschen ...

Das Europa, das mir vorschwebt, ist eine politische, ja mehr noch eine geistige Einheit, in der christliche Politiker aller L�nder im Bewusstsein der menschlichen Reicht�mer, die der Glaube mit sich bringt, handeln; engagierte M�nner und Frauen, die solche Werte fruchtbar werden lassen, indem sie sie in den Dienst aller stellen f�r ein Europa des Menschen, �ber dem Gottes Angesicht leuchtet".