Comunità di Sant'Egidio - Napoli 2007 - Per un mondo senza violenza - Religioni e Culture in dialogo Comunità di Sant'Egidio - Napoli 2007 - Per un mondo senza violenza - Religioni e Culture in dialogo
 

Daniela Pompei - Gemeinschaft Sant’Egidio

Copyright � 2007
Comunit� di Sant'Egidio

22/10/2007 - 09:30 - Sala Italia - Castel dell�Ovo
PANEL 4 - Europa, Einwanderung, Zukunft

Daniela Pompei
Gemeinschaft Sant�Egidio

Ein k�rzlich in La Stampa erschienener Artikel von Arrigo Levi trug den Titel: �Ich halte zu den Rum�nen�. Es f�llt schwer, sich nicht in der Argumentation von Arrigo Levi wiederzufinden, vor allem in seinem Unbehagen und seiner Sorge �ber die Art und Weise, mit der, zumindest in Italien, das Thema der Immigration behandelt wird. �Dank den Rum�nen�, beharrt Arrigo Levi. Es ist die Reaktion auf eine Kampagne einer wirklichen Verachtung den Einwanderern gegen�ber. Ich zitiere zu Beginn meiner �berlegungen seine Beobachtungen, in denen ich mich wiederfinde, um mit dem schwierigsten Teil zu beginnen, den ich nicht umgehen will, um ihm so seine richtigen Ausma�e zu geben. Ich meine damit das Thema der Sicherheit.

Mit dem Thema der Einwanderung ist n�mlich oft das der Gesetzgebung und der Sicherheit verbunden. Bei der Behandlung dieses Themas versuchen die Medien vor allem problematische und negative Aspekte f�r die Anwesenheit von Ausl�ndern in den europ�ischen L�ndern aufzuzeigen. Dass die St�dte wegen der Ausl�nder unsicher geworden sind, ist ein Gemeinplatz, der in vielen Presseorganen deutlich wird. Und in Italien sind in der letzten Zeit die Rum�nen als Verantwortliche der gro�en �bel, die unsere St�dte heimsuchen, ausgemacht worden. Auf der anderen Seite scheint die Frage der Einwanderung fest gefahren zu sein. Zwei unvereinbare Positionen stehen sich anscheinend gegen�ber: auf der einen Seite das Bed�rfnis nach neuer Zuwanderung von Ausl�ndern, um das wirtschaftliche Wachstum und den Fortschritt zu garantieren, auf der anderen Seite eine Angst, die sich in der �ffentlichen Meinung der L�nder Europas immer mehr ausbreitet. Es ist die Angst, durch eine unkontrollierte �Invasion� von �Fremden� des eigenen Wohlstands enteignet zu werden. Ein Wohlstand, der im Gegenteil jedoch, wie wir wissen, gerade vom demografischen R�ckgang, der die L�nder Europas seit einigen Jahren bedr�ckt, bedroht ist. Es ist kein Zufall, dass das gr�ne Buch der Europ�ischen Kommission von 2005 Alarm schlug � der vielleicht etwas wenig beachtet worden ist: �Europa hat keinen demografischen Motor mehr!� Im Zeitraum zwischen 1995 und 2000 haben die L�nder Westeuropas 4,4 Millionen Einwohner �verloren�, an deren �Platz� 5 Millionen Einwanderer nachger�ckt sind. F�r die Zukunft kann man vorhersagen, dass es immer schwieriger wird, eine positive demografische Bilanz zu halten. Der R�ckgang der europ�ischen Staatsb�rger wird nicht ausgeglichen werden k�nnen, h�chstens teilweise durch den Zuzug von Einwanderern. In der UNO ist man der Meinung, dass die Europ�ische Union in den n�chsten 50 Jahren j�hrlich 13 Millionen Einwanderer aufnehmen m�sste, um der fortschreitenden �beralterung der Bev�lkerung entgegen zu treten. F�r die momentane europ�ische Politik ist das undenkbar.

Wenn es stimmt, dass Europa von einer Krise heimgesucht wird, von einem demografischen R�ckgang und von einer �Entleerung seiner Identit�t�, wie es Andrea Riccardi in seinem Buch �Convivere� ausdr�ckt, dann ist die Unsicherheit, die von seinen B�rgern empfunden wird, ein wichtiges Symptom, das richtig gedeutet werden muss. Man muss sich jedoch davor h�ten, den Grund daf�r in der Einwanderung zu suchen, die stattdessen � zumindest teilweise � ihr Heilmittel sein k�nnte. Die Frage nach Sicherheit ist eine Frage nach Schutz, nach Zukunft, nach lebbaren Verh�ltnissen, nach Gerechtigkeit und vieles mehr. Es ist eindeutig eine komplexe Frage, die es nicht verdient, auf Ordnungspolitik reduziert und mit vereinfachenden Antworten gel�st zu werden. Am Internationalen HABITAT-Tag am 1. Oktober diesen Jahres hat die UNO einen bedeutsamen Slogan zum Thema der Kriminalit�t und der Gewalt in unseren St�dten ausgegeben: �Eine sichere Stadt ist eine gerechte Stadt�. Wie soll man also nicht mit Sorge auf das Ausma� und die Art der Polizeieins�tze schauen, die in der letzten Zeit in den gro�en italienischen St�dten durchgef�hrt werden? Die Armen werden zu den S�ndenb�cken aller �bel gemacht. Es ist schwer vorstellbar, dass die Leute, die an den Ampeln die Autoscheiben waschen oder die in Baracken wohnen, den Ernstfall der �ffentlichen Sicherheit darstellen. Sie weisen vielmehr auf das dr�ngende Wohnungsproblem und auf die soziale Not hin. Sie sind die ersten, die f�r das Ungleichgewicht unserer Lebenssysteme die Rechnung zu bezahlen haben.

Vielleicht sind es gerade die �rmsten, die am meisten die Folgen fehlender Sicherheit tragen m�ssen. �Die Armen sind in erster Linie Opfer von kriminellen �bergriffen und Gewalt�, erkl�rt die UNO ma�geblich in dem vorher genannten Dokument. Arme Mitb�rger sind gef�hrlichen Situationen mehr ausgesetzt als reiche. Erlauben Sie mir hier eine Bemerkung. Wenn man von Sicherheit spricht, ist es n�tig, zu betonen, dass jeder, der ein Verbrechen begeht, zur Verantwortung gezogen werden muss: jedoch jeder Einzelne f�r sich und nicht alle, die einer bestimmten Nationalit�t angeh�ren! Das gilt f�r alle, f�r die Einwanderer wie f�r die einheimischen B�rger.

Am 13. September sagte der Vizepr�sident der Europ�ischen Kommission, Franco Frattini, w�rtlich: �Ich erhoffe in 20 Jahren die Zuwanderung von 20 Millionen Einwanderern! Man muss schleunigst die Kultur und die Mentalit�t den Einwanderern gegen�ber �ndern, die mehr als Bereicherung denn als Bedrohung angesehen werden m�ssen.� Ende des Zitats.

Viele andere angesehene und gut dokumentierte Stimmen wie zum Beispiel die der internationalen Agenturen belegen alle eine einzige Tatsache: Die Einwanderung ist einer der Haupthebel f�r die wirtschaftliche und erst recht f�r die menschliche und soziale Entwicklung der Aufnahme- und der Herkunftsl�nder.

F�r die weiter entwickelten L�nder und besonders f�r Europa stellt die Einwanderung eine unverzichtbare Chance und eine sichere Bereicherung dar. Sie begrenzt den Bev�lkerungsschwund, erm�glicht es, das erreichte wirtschaftliche und soziale Niveau zu halten, bewahrt die Konkurrenzf�higkeit und das wirtschaftliche Wachstum.

Trotzdem sind nach einer Umfrage von Eurobarometer nur 4 von 10 Europ�ern bereit anzuerkennen, dass �die Einwanderer viel zum Wohl des eigenen Landes beitragen�. Wir stehen hier vor einem Paradox: Wir brauchen Einwanderer, aber wir wollen sie nicht allzu sehr. Wir halten sie davon ab, zu uns zu kommen, wir stellen uns nicht darauf ein, sie aufzunehmen und wir erschweren die Erlangung der Staatsb�rgerschaft.

Die europ�ische Politik ist in einem bestimmten Sinn von der Angst beherrscht, sich zu sehr zu �ffnen. Die L�nder der EU diskutieren immer noch dar�ber, ob man sich f�r eine Einwanderung wirtschaftlichen Typs �ffnen soll, ob und wie man sich eventuell �ffnen soll nur f�r Hochqualifizierte.

Lassen Sie mich eine starke, aber b�ndige Formulierung verwenden: Es gibt wie eine Art allgemeine Heuchelei in Bezug auf das Einwanderungsthema, bei der man nicht auf die Wirklichkeit der L�nder und die zuk�nftigen Perspektiven Europas achtet. Denn es w�rde reichen, die Zahlen der L�nder zu analysieren, die seit Jahren teilweise eine Planung der Einwanderung (wie Italien, Spanien, Portugal usw.) durchf�hren, um zu bemerken, dass es neben dem relativ niedrigen Bedarf an Hochspezialisierten statt dessen einen beachtlichen Bedarf an anderen Arten von Arbeitern, besonders von niedrig qualifizierten Arbeitern gibt. Sicher werden auch Programmierer gebraucht, in einigen L�ndern �rzte, Krankenschwestern usw., aber es werden auch � und vor allem viele � einfache Arbeiter, Frauen, die in den Familien mithelfen (Haushaltshilfen, Babysitter), Altenpfleger und Landarbeiter gebraucht. Die Arbeiter mit allgemeinen Aufgabenbereichen sind so sehr gesucht, dass sie allm�hlich ausgehen. Im Moment findet man in Italien zum Beispiel nur schwer Altenpfleger, die ganztags arbeiten. Man spricht von einer Invasion der Rum�nen, aber die Zahlen aus den Aufnahmezentren der Gemeinschaft Sant�Egidio zeigen eine drastische Abnahme von Neuangekommenen seit dem 1. Januar. Dass das mehr als nur ein Eindruck ist, wird auch von Ferruccio Pastore del Cespi best�tigt, der eine eindeutige Abnahme von neu angekommenen Rum�nen in Italien feststellt.

Die Einwanderung ist eine Bereicherung f�r die Aufnahmel�nder. Sie ist es aber auch unter verschiedenen Aspekten f�r die Herkunftsl�nder. Das Wichtigste sind die �berweisungen der Arbeitenden in ihr Heimatland. Das ist ein ausschlaggebender Beitrag f�r die Wirtschaft dieser L�nder. Laut den Berechnungen der Weltbank �bertreffen die �berweisungen bei weitem die Entwicklungshilfe der 22 reichsten L�nder der Welt.

Ich glaube auch, dass man �ber eine wirtschaftlich-utilitaristische Logik hinausgehen muss, wenn man �ber Einwanderung nachdenkt, und langfristige und solidarische Entscheidungen in der Einwanderungspolitik treffen muss.

Ich denke an die Bildung von �Solidarit�tsquoten�, die die Gemeinschaft Sant�Egidio der italienischen Regierung f�r die �nderung des aktuellen Einwanderungsgesetzes vorgeschlagen hat, um den Einwanderungsfluss zu regulieren. Es ist angebracht, von einer andersartigen Auffassung der bilateralen Beziehungen zwischen den L�ndern auszugehen, eine Auffassung, deren Grundlage die Solidarit�t ist. Bei der Definition von Kriterien f�r die j�hrlichen Quoten k�nnte ein Teil besonders f�r die L�nder reserviert werden, in denen die Lebensbedingungen aufgrund von Konflikten, Klimakatastrophen, Hungersn�ten oder �hnlichem am dramatischsten sind. Man denke an die Umweltfl�chtlinge.

Bei diesem Thema muss auch in Betracht gezogen werden, dass die M�glichkeit, die diesen Bev�lkerungsgruppen angeboten wird, regul�r nach Europa zu kommen, heute von vielf�ltigen Faktoren absolut verhindert wird. Dabei w�re es eine ernsthaftere und wirkungsvollere Alternative zum einzigen momentan praktizierten Weg des illegalen Menschenhandels und der organisierten Kriminalit�t. Es k�nnte eine Entscheidung sein, die auf originelle Weise die Einwanderungspolitik Europas charakterisiert und die Grundlagen f�r einen neuen Bund zwischen Europa und Afrika legen w�rde.

Ich muss auch an das Drama vieler Migranten erinnern, die in den Wogen des Mittelmeeres �aus Hoffnung� gestorben sind auf einer Reise ohne Wiederkehr beim letzten Versuch, �ber L�nder wie Spanien und Italien nach Europa zu kommen.

Heute d�rfen sich die Verantwortlichen in den europ�ischen Regierungen nicht von der Angst leiten lassen, sondern sie m�ssen sich daf�r einsetzen, dass ein notwendiges Zusammenleben nicht unfreiwillig hingenommen wird, sondern zur Zufriedenheit f�hrt. Mittlerweile wissen die Gelehrten, wie sehr die Einwanderer ein Reichtum und eine Notwendigkeit sind. Es ist ethisch nicht korrekt, in scheinheiliger Weise die Idee zu n�hren, dass wir ��berschwemmt� werden und dass einige Gruppen von Einwanderern die Sicherheit unserer St�dte bedrohen. Man k�nnte anfangen, die Wahrheit zu sagen, indem man gut �ber die Einwanderer spricht. Denn immer noch tut man wenig f�r eine Einwanderungspolitik. Man denkt nicht dar�ber nach, wie man neue europ�ische Staatsb�rger formen k�nnte. Nur wenig sucht man beim Einwanderungsprozess nach Wegen, wie man die Sprache, die Kultur und die europ�ische Geschichte lehren k�nnte. Man setzt sich nicht daf�r ein, andere aufzunehmen. Deshalb ist es richtig und n�tig, Energien und Geldmittel einzusetzen, um diese M�nner und Frauen zu integrieren, die uns helfen, gut zu leben, die unseren Familien, unseren Kindern, unseren Eltern helfen und die heute immer mehr unsere Nachbarn sind, sofern sie eine Wohnung finden. F�r die Integration zu arbeiten ist heute eine der wichtigsten Weisen, um �ber das Thema der Einwanderung nicht zu erschrecken. Die Einwanderer kennen zu lernen und bei ihrer Integration zu helfen, wie es die Gemeinschaft Sant�Egidio seit Jahren tut, l�sst uns zum Beispiel entdecken, dass die Einwanderer den gro�en Wunsch haben, sich zu integrieren, zu Italien zu geh�ren und als fester Bestandteil des Landes zu gelten. Sie w�nschen, vollberechtigte Staatsb�rger zu werden. Ich kann hier bezeugen, dass viele Einwanderer Italien wirklich lieben, dass sie - um ein veraltetes Wort zu benutzen - Patrioten sind, die Italien als ihr Land verstehen. Heute ist es n�tig, die B�rger Europas begreifen zu lassen, wie sch�n die Einwanderung ist. Man muss zum Zusammenleben erziehen und Hilfestellung dazu geben, damit alle �ber die Anwesenheit von Einwanderern froh werden. Schlie�lich sind die Kinder der Einwanderer die Zukunft Europas. Es ist Besorgnis erregend, dass es in einigen Grundschulen italienische Eltern gibt, die ihre Kinder die Schule wechseln lassen, weil in der Klasse ihres Kindes Ausl�nder oder Zigeuner sind.

Es kann viele Weisen geben, der Neuigkeit und der Sch�nheit einer pluralen und gemischten Gesellschaft zu begegnen. Die Erfahrung der Gemeinschaft Sant�Egidio stellt in diesem Sinne einen unerschrockenen, ausgewogenen und gangbaren Weg dar zu einem m�glichen, n�tigen, aber auch � lassen Sie es mich sagen � sch�nen und befriedigendem Zusammenleben.

Die Sprachschule der Gemeinschaft Sant�Egidio wird in diesem Jahr 25 Jahre alt. Sie wurde von etwa 55.000 ausl�ndischen Mitb�rgern besucht. Sie nimmt in klarer und deutlicher Weise die Hoffnung auf Leben und Zukunft auf, die aus einem betr�chtlichen Teil der Welt der Einwanderer kommt. Ich frage mich, ob man wirklich diese Hoffnungen entt�uschen und dem�tigen muss.

Schlie�lich: Wie wird die Zukunft Europas sein? Ich glaube, dass sie sch�n sein wird, wenn uns Integration und Verst�ndnis gelingen und wir es schaffen, den Reichtum so vieler unterschiedlicher M�nner und Frauen, die ein Geschenk f�r Europa sind, zu entwickeln und zu vermehren.

Andrea Riccardi betont bei seinen �berlegungen �ber das Zusammenleben und die Herausforderungen eines gemeinsamen Lebens eine starke Rolle Europas: �Ein Europa, das von unterschiedlichen kulturellen Schichten und dem Austausch gekennzeichnet ist, - so sagt Andrea Riccardi � darf kein Kontinent sein, der seiner Menschen entleert wird. � Man muss einen Bund f�r das Zusammenleben schlie�en und ihn erweitern. Europa kann bei diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. Dieses Europa ohne Herrschaftsgebiet kann ein Raum des Friedens in der heutigen Welt sein, wenn es eine pluri-nationale Solidarit�t zu seiner St�rke macht.�