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11 September 2017 09:30 | Bischöfliches Priesterseminar Borromäum - Aula

Rede von Ambrogio Spreafico



Ambrogio Spreafico


Katholischer Bischof, Italien

Notstand für die Umwelt

Ein stärkeres Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung entsteht auch zunehmend unter den Gläubigen der verschiedenen Religionen, insbesondere infolge der klimatischen Vorhersagen, die immer besorgniserregender werden und derer wir uns bewusstwerden, abgesehen von einigen, die es nicht schaffen, den Ernst der Lage zu erkennen. Ich muss erkennen, dass das Thema „Umwelt“ in unserer Kirche noch nicht die Wichtigkeit hat, die es haben sollte; trotz der Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus. Während das vergangene Jahrhundert von verschiedenen sozialen Enzykliken geprägt war, der Rerum novarum von Leo XIII (1891) bis zur Caritas in veritate von Benedikt XVI (2009), haben wir heutzutage Mühe zu verstehen, dass das Thema der sozialen Gerechtigkeit eng mit dem Schutz der Schöpfung verbunden ist. Es ist nötig, eine globale Vision der Phänomene zu entwickeln, um die Entwicklung in der Tiefe vorherzusehen und zu verstehen. Dagegen scheint im allgemeinen Bewusstsein alles ein Notfall zu sein, als ob alles unerwartet und unvorhersehbar sei. Gewiss kann man nicht alles mit Sicherheit voraussagen, aber die Daten über die Umwelt in den wissenschaftlichen Untersuchungen sollten zum Nachdenken anregen und zu Entscheidungen führen, nicht nur auf der Ebene von internationalen und nationalen Organisationen, sondern auch von Einzelnen und religiösen oder Laiengemeinschaften; und sie sollten nicht dazu führen, dass Menschen zur Armut verdammt sind und die ganze Schöpfung zerstört wird.

Es geht darum, ein neues Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Lage zu entwickeln, in der wir uns befinden. Die Zeit der Panikmache ist vorbei! Die dramatische Situation des Planeten Erde steht allen vor Augen, von der Erhöhung der Temperaturen bis zum Anstieg des Meeresspiegels mit der möglichen Erosion der Strände und dem Verschwinden ganzer Städte, die in Meeren und Ozeanen versinken, bis zum Schmelzen der Alpengletscher und der Arktis, von der Verschmutzung durch Feinstaub bis zum Ozonloch. Es gibt also keinen Grund, froh zu sein! Ich frage mich, inwieweit das Bewusstsein für diese dramatische Situation verbreitet ist und sich dieses Bewusstsein durchsetzen und zum Beispiel die Zerstörung des Waldes im Amazonas verhindern kann (dessen Ausbeutung die brasilianische Regierung gerade zugestimmt hat!) anstatt die Ressourcen des Meeres und der Erde auszubeuten, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Wer sich für den Schutz der Umwelt einsetzt, riskiert in einigen Teilen der Welt viel. Jedes Jahr wurden zwischen 2002 und 2014, ca. 100 Personen getötet, die kämpften, um die Umwelt zu schützen. Die Dinge haben sich in den letzten Jahren nicht gebessert. Gerechtigkeit und Umwelt sind immer miteinander verbunden, wie es Papst Franziskus gut verdeutlicht, wenn er von dem Schrei der Armen und unserer Mutter Erde (EvG, 2 und 49) spricht.

Diese Frauen und Männer waren sich nicht nur des Desasters bewusst, zu dem die Rücksichtslosigkeit und die Gier nach Ressourcen und Geld unsere Erde führen können, sondern sie haben es zum Beweggrund für ihren Kampf und in einigen Fällen ihres Lebens gemacht. Sie hatten verstanden, dass das Umweltproblem mit dem Problem der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens verbunden war. Ich erlaube mir zu sagen, dass jene noch eine Minderheit sind, die diese Überzeugung teilen und die Konsequenzen auf sich nehmen. Die Enzyklika von Papst Franziskus hat für uns Katholiken die Dringlichkeit deutlich gemacht, dem ökologischen Thema in seiner Komplexität und seinen Zusammenhängen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Ich sage, sich des Themas annehmen, denn bis jetzt waren unsere Überlegungen und vor allem unsere Gepflogenheiten nicht sehr entschieden. Wir haben uns theologisch für viele auch aktuelle Themen interessiert. Manchmal haben wir Themen behandelt, die eine große Tragweite hatten, wenn es sich zum Beispiel um Themen der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens oder der Verteidigung des Lebens in all seinen Ausdrucksformen handelt. Trotzdem hatten wir kein tiefes Bewusstsein dafür, wie viele Themen miteinander verbunden sind und interagieren. Themen, die die Gesamtheit der Schöpfung betreffen, unser Zusammenleben als Frauen und Männer in einer Umgebung, in der es neben uns auch noch andere Lebenswesen gibt, von den Tieren zu den Pflanzen, von den Mineralstoffen bis zum Wasser. Wir waren nicht die Alleinherrscher und noch nicht einmal die Bewahrer, aber wir müssen anfangen zu verstehen, dass der Respekt für die Wesen, die anders sind als wir, auch den Respekt für alle anderen “Bewohner” des Planeten Erde mit sich bringt.

Man muss die erste Erzählung über die Schöpfung im Buch Genesis nachlesen (1,1-2,4a), indem man zum Beispiel den Gedanken von Jürgen Moltmann folgt: “Gemäß einer neuen Lesart der Schöpfungsgeschichte, ist der Mensch das letzte von Gott geschaffene Wesen und damit das abhängigste Lebewesen. Es muss für sein Leben auf die Existenz aller anderen Lebewesen zurückgreifen, auf die Erde, den Himmel und das Licht; und ohne die Pflanzen und die Tiere der Erde kann er absolut nicht leben. Den Menschen gibt es vor allem, weil es alle anderen Geschöpfe und ihre irdische Gemeinschaft gibt… Der Mensch ist daher vor allem ein Mitglied der irdischen Geschöpfe. … Gemäß der ersten Schöpfungsgeschichte ist die Erde dem Menschen nicht Untertan, sondern ein großes und einziges Geschöpf: es bringt Leben hervor, Pflanzen, Bäume und Tiere aller Art” (Il Dio vivente e la pienezza della vita, Queriniana, Brescia 2016, p. 85). Befreien wir uns von der Idee des Menschen als Herrscher über die Schöpfung gemäß einer alten Interpretation aus Genesis 1,26 „sie sollen herrschen“. Sogar der wissenschaftliche Fortschritt hat gezeigt, dass die Alleinherrschaft nur zu einer wahllosen Auslöschung und ungerechten Ausbeutung der Erde führt. Wir sind keine Herren über irgendetwas! Auch die Wissenschaft hat ihre Verantwortung, denn auch sie kann sich nicht als Alleinherrscher über den Fortschritt der Welt einsetzen. Auf eine weise Art stellt die Bibel die Entdeckungen und den menschlichen Fortschritt in eine Reihe mit der Nachkommenschaft Kains, um ihren Wert zu zeigen, aber auch die Ambivalenz.

Wir müssen vor allem die Beziehung zwischen uns Frauen und Männern und der Welt, die uns umgibt, neu bedenken; ausgehend von der Voraussetzung, dass wir alle Lebewesen sind und deswegen Wesen, die ein Existenzrecht haben. Man muss den Blick und entsprechend den Geist schärfen. Gewiss, wenn man die anderen besonders einige andere, wie die Flüchtlinge oder die Zigeuner, als potentielle und gefährliche Feinde ansieht, frage ich mich, wie man dann einen respektvollen und wohlwollenden Blick gegenüber der materiellen Umwelt haben kann. Aber ohne diesen barmherzigen Blick schafft man es nicht zu verstehen, dass der Mensch nach biblischer Auffassung nicht die Krönung der Schöpfung ist, wenn überhaupt, dann ist es der Samstag; der Tag, an dem der Mensch sich der Schöpfung stellt und indem er das tut, lobt er Gott und erkennt, dass er, der Mensch, nicht der Herr der Schöpfung ist. Die jüdisch-christliche Lesart der Bibel besagt, dass der bereitwillige und dankbare Lobgesang, die einzige Erfüllung der ganzen Schöpfung ist. Es gibt eine zwingende Notwendigkeit: die anderen Lebewesen als Teil meiner Existenz und meiner Zukunft anzuerkennen.


Ökologie der Umwelt und des Menschen

Eine Frage, die in den letzten Jahren in Europa intensiv diskutiert wurde, ist das Thema der Flüchtlinge; eine der dramatischsten Konsequenzen des ökologischen Problems. Wir behandeln dieses Phänomen immer noch so, als wäre es ein akuter Notfall; als wenn die Geschichte uns nicht gelehrt hätte, dass Migrationen ein normaler und konstanter Teil der Menschheitsgeschichte sind. Heutzutage, wie in der Vergangenheit, gibt es einige, die auswandern, weil sie nicht mehr in ihren Gegenden leben können. Unter den Migranten gibt es eine große Zahl von sogenannten Umweltflüchtlingen, Frauen und Männer, die ihr Land aufgrund von Umweltproblemen wie Überschwemmungen, Wirbelstürmen, Wüstenbildung, Erdbeben und anderen Naturereignissen verlassen müssen. Wenn wir den globalen Rahmen betrachten, finden wir in den Daten des IDMC (Internal displacement monitoring center), dass es 2016, 31,1 Millionen neue Inlandsflüchtlinge gab; 6,9 Millionen davon aufgrund von Konflikten und Gewalt und mehr als 24,2 Millionen aufgrund von plötzlichen und zerstörerischen Umweltkatastrophen (Hurrikans, Überflutungen, etc.).  Der Desertification Report der UNCCD (United Nations Convention to Combat Desertification – 2014) schätzt, dass sich bis 2020, 60 Millionen Menschen aus den verödeten Gegenden Afrikas südlich der Sahara nach Nordafrika und Europa bewegen werden; während die meist zitierte Schätzung, die von Myers, voraussieht, dass es bis 2050, 200 Millionen potentielle Umweltmigranten geben wird.

Kann Europa weiter unterscheiden zwischen Flüchtlingen, die vor Krieg fliehen und denen man zur Aufnahme verpflichtet ist, und Flüchtlingen, die aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen fliehen? Zwei Gründe, die oft eng miteinander verbunden sind. Des weiteren gibt es ein Gerechtigkeitsproblem, das nicht ignoriert werden darf. Unsere Länder sind auch – die einen mehr, die anderen weniger – verantwortlich gewesen für den Tod und die Ausbeutung der Reichtümer und Güter, die nicht die unsrigen waren. Ich glaube, es ist nicht nötig, Beispiele dafür zu nennen. Müssen wir vor dem Drama der Migration nicht auch an unsere Geschichte und Verantwortung erinnern, die uns zu einem Bewusstsein der Wiedergutmachung führt?


Zusammenleben in einem gemeinsamen Haus

Wir sind in einer globalen Welt so wie das Umweltproblem global ist. In der jüdisch-christlichen Lesart der Bibel finden wir Hinweise, die uns helfen können zu entdecken, wie der Schutz der Schöpfung ein integraler Bestandteil im Leben eines christlichen Gläubigen werden kann. Im Buch Genesis ist die Menschheitsgeschichte von Anfang an unauflöslich mit der ganzen Schöpfung verbunden. Die Sünde des Mannes und der Frau ziehen die Schöpfung mit hinein so wie die Gewalt des Kain gegenüber Abel, die ganze Welt in eine Geschichte der unaufhörlichen Gewalt hineinzieht (“Die Erde ist voll von Gewalt”), die zu ihrer Zerstörung führt. Die Sintflut ist in der Tat nichts anderes als der Ausdruck der menschlichen Gewalt in der Schöpfung, die zum ursprünglichen Chaos zurückführt. Herrschaft, Pflege oder Bewahrung? Dies sind die Aufgaben, die Gott dem Menschen in den ersten biblischen Erzählungen anvertraut hat. Wird der Mensch es verstehen diese Aufgaben zusammen zu bringen? Dies ist vielleicht die ewige Frage. Einerseits ist der Mensch gerufen, zu “herrschen”, das heißt ein Primat innerhalb der Schöpfung auszuüben, während er sie andererseits bestellen (pflegen) und schützen soll. Wenn die Herrschaft, die Pflege und den Schutz nicht mit einbezieht, dann ist die ganze Schöpfung in Gefahr. Dann geschieht das, was in den ersten elf Kapiteln des Buches Genesis beschrieben ist, dass der Mensch sich zum Alleinherrscher über das Leben und den Kosmos erheben will, wie in der Erzählung über die sogenannte Erbsünde und den Turmbau zu Babel. Eine Herrschaft, die zur Gewalt und zur Verwirrung wird. Dies ist ständig in der Menschheitsgeschichte geschehen, wenn die Herrschaft die Menschen und Güter in ihre Gewalt gebracht und ins Verderben geführt hat. Kriege, Gewalt, Ausbeutung der Ressourcen und Besetzung von Gebieten haben die Bewahrung der Schöpfung zum Wohl aller auf eine harte Probe gestellt. Statt zu teilen hat man einen Abgrund geschaffen zwischen denen, die besitzen und den anderen.

Die Theologie der Erde, so ist es vor allem im Buch Deuteronomium ausgedrückt, unterstreicht nicht den Besitz, sondern die Gabe. Es ist Gott, der die Erde geschenkt hat. Das impliziert, dass die Erde und ihre Früchte geteilt und nicht besessen werden. Das Buch Deuteronomium zeigt dies zum Beispiel in der Anordnung des Sabbatjahres und des Jubeljahres, wo der Herr gebietet, ein Teil der Produkte der Erde, Trauben und Weizen den Armen zu lassen (Fremder, Waise und Witwe). Der Schutz der Schöpfung schließt das Teilen mit ein. Indem man teilt, lernt man die Sanftmut und antwortet damit auf die Gewalt des Herrschens, die andere ausschließt. Sanftmut und der Besitz des Landes sind auf überraschende Weise in einigen biblischen Texten miteinander verbunden als Aspekte einer befriedeten Erde und der Befreiung vom Bösen. In Psalm 37 gibt es fünf Verweise auf diese Verbindung, auch wenn man nicht den eigentlichen jüdischen Begriff für “sanftmütig” benutzt. In den Versen 8-9 lesen wir: “Steh ab vom Zorn und lass den Grimm; erhitze dich nicht, es führt nur zu Bösem. Denn die Bösen werden ausgetilgt; die aber auf den Herrn hoffen, werden das Land besitzen.”. In Vers 11: “Doch die Armen werden das Land bekommen, sie werden Glück in Fülle genießen.” In Vers 22: “Denn wen der Herr segnet, der wird das Land besitzen, aber wen er verflucht, der wird ausgetilgt.“ In Vers 29: “Die Gerechten werden das Land besitzen und darin wohnen für alle Zeiten.“ Und zuletzt in Vers 34: “Hoffe auf den Herrn und bleib auf seinem Weg! Er wird dich erhöhen zum Erben des Landes”. Der Widerstand ist immer bei den Bösen. Es wird dann der Evangelist Matthäus sein, der in den Seligpreisungen ausdrücklich die Sanftmut und den Besitz des Landes miteinander verbindet: “ Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben“. Vielleicht lernt man mit einem weitreichenden Blick, der über uns hinaus zu den anderen Lebewesen geht, die Fähigkeit, den Schrei der Armen zusammen mit dem Schrei unserer armen Erde zu hören und eine Einstellung der Sanftmut zu entwickeln, die es erlaubt, unser Leben in einem Geist des Teilens und des Friedens zu führen.


 

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