Katholischer Bischof von Münster
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Eminenzen, Exzellenzen,
sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr verehrter Herr Professor Riccardi, sehr verehrter Professor Impagliazzo,
geehrte Vertreter der verschiedenen Religionsgemeinschaften,
Konfessionen, Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften,
liebe Schwestern und Brüder!
Vereint in der Verbundenheit mit dem einen Gott, der mit seiner Weisheit die Geschichte und die Geschicke der Völker lenkt: Im Namen der Kirche von Münster, aber auch im Namen des Bischofs von Osnabrück, Dr. Franz-Josef Bode, begrüße ich Sie alle hier in der Stadt. Wir wissen uns geehrt, dass Sie, liebe Verantwortliche der Gemeinschaft Sant‘ Egidio, im Jahr des Reformationsgedenkens Ihr Augenmerk auf unsere beiden Städte gerichtet haben.
Nach einem dreißigjährigen unseligen Krieg, der Europa tief gespalten und verwundet hat, haben in Osnabrück und in Münster Menschen „Wege des Friedens“ gesucht, um endlich diesem Krieg ein Ende zu setzen. Es war damals mühselig, die Parteien zueinander zu bringen. Und es war nicht nur deshalb mühselig, weil immer wieder lange Wege in Anspruch genommen werden mussten, um zu den Vereinbarungen zu finden. Wie sehr hätte die Digitalisierung die Wege kürzer gemacht! Das Leitwort „Wege des Friedens“, das uns in den kommenden Tagen Anlass zum Beten, zum Denken und zum Miteinander gibt, passt deshalb sehr gut in diese Situation. Uns in Münster hilft es auch, das Motto des Katholikentages „Suche Frieden“ näher zu bedenken, um es dann im kommenden Jahr in vielfältiger Weise zu entfalten.
Meine Verbundenheit und Begegnung mit der Gemeinschaft von Sant‘ Egidio zeigt mir, wie sehr Sie in dieser Weise Ihr Zeugnis als Christinnen und Christen seit fast 50 Jahren leben. Wieviel haben Sie dazu beigetragen, Menschen miteinander zu versöhnen, „Wege des Friedens“ in fast ausweglosen Situationen zu suchen. Auch diese Inter¬nationalen Friedenstreffen sind Zeugnis und Beispiel für Ihr Engagement aus dem Geist des Evangeliums. Meine Hochachtung und mein Respekt gelten Ihnen, Herr Professor Riccardi, und allen, die sich mit Ihnen weltweit diesem Einsatz widmen. Vielen Dank für alles, was Sie getan haben und tun – und davon bleibt vieles im Verborgenen!
Verehrte Frau Bundeskanzlerin, es ist uns eine besondere Freude und eine hohe Ehre, dass Sie in dieser Zeit, in der Sie durch den Wahlkampf noch einmal ganz eigens beansprucht sind, zu uns nach Münster gekommen sind und die Einladung von der Gemeinschaft Sant‘ Egidio und von uns Bischöfen angenommen haben. Vielen Dank sagen wir dafür und fügen gerne mit Respekt an, dass das Zeugnis, das Sie gerade in dem schwierigen Jahr 2015 gegeben haben, genau in dieses Leitwort, „Wege des Friedens“ zu suchen und zu finden, hineinpasst. Sie sind nicht von Ihrer Überzeugung abgewichen, für Menschen, die vor Terror, Krieg, Gewalt, Hunger und vielfältigen Notsituationen fliehen, vorübergehend oder bleibend eine Aufnahme zu bieten. Allen Widerständen zum Trotz haben Sie sich in unserem Land, auf europäischer und internationaler Ebene dafür eingesetzt. Es ist meine feste Überzeugung, dass Sie dafür tiefen Respekt verdienen. Zugleich aber wissen wir uns auch mit Ihnen verbunden und ver¬trauen Ihnen, dass Sie die Möglichkeiten, die Sie als Politikerin auf den verschiedenen Ebenen haben, ausnutzen, um die Quellen der Fluchtbewegungen auszutrocknen, besonders in Afrika und im Mittleren Osten dazu beitragen, dass Menschen Situationen antreffen, die sie zum Bleiben motivieren und nicht zum Fliehen zwingen.
Mitten in einer Situation, in der Religion bei manchen mit Gewalt gleichgesetzt wird, tut ein solches Friedenstreffen wie unser Zusammenkommen hier wirklich Not. Was können wir tun, um verwirrte Geister - und hier formuliere ich bewusst spirituell-theologisch – auf den Weg der Umkehr zu bringen, damit sie entdecken, dass das Wort des 34. Psalms wahr ist: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht? Meide das Böse, und tu das Gute; suche Frieden, und jage ihm nach“ (Ps 34,13/15)?
Trotz mancher Bedrängnis - gerade im Blick auf die Ökumene -, dürfen wir nicht übersehen, wieviel Samenkörner des Guten und des Friedens nicht nur gesät, sondern auch aufgegangen sind. Ich verweise dabei noch einmal auf das, was Sant‘ Egidio weltweit geleistet hat und leistet. Die Initialzündung zu diesen Treffen hat der heilige Papst Johannes Paul II. 1986 in Assisi gegeben und er hat sich trotz mancher Einwände nicht irritieren lassen, auf diese Weise zu dokumentieren, dass Religion eine friedenstärkende und -erhaltende Kraft ist.
Gestern Abend habe ich beim Eröffnungsgottesdienst von einer Lektüre, die mich seit einiger Zeit beschäftigt, berichtet. Es handelt sich um Texte des Priors der Mönche von Tibhirine, Christian de Chergé. Während des Algerienkrieges war er als Soldat im Einsatz und lernte dabei einen muslimischen Familienvater namens Mohammed kennen. Die beiden wurden Freunde. Erschüttert hat Christian das Zeugnis dieses gläubigen und frommen Muslims. Er hat nämlich sein Leben für ihn – Christian – gegeben. In einer sehr gefährlichen Situation stellte er sich vor ihn, so dass er nicht getötet wurde. Am anderen Morgen aber fand man Mohammed ermordet. Dieses Erlebnis hat Christian bewegt, seine Berufung in der Nachfolge Christi ausdrücklich in Algerien als Mönch zu leben.
Ich möchte noch von einer anderen Begebenheit erzählen, die gut in unsere Begegnung heute Nachmittag passt. Eines Tages nämlich lud ihn Mohammed ein, doch wieder einmal Zeit zu haben zu einem tieferen Gespräch. Er fasste es in die Formel: „Seit langem haben wir nicht mehr unsere Brunnen tiefer gegraben.“ Christian berichtet: „Einmal stellte ich ihm im Scherz die Frage: Und was werden wir auf dem Grund des Brunnens finden? Muslimisches oder christ¬liches Wasser? Halb lachend, halb ärgerlich blickte er mich an: Jetzt sind wir schon so lange gemeinsam unterwegs, und du stellst mir noch immer so eine Frage?! Du weißt doch: Was man auf dem Grund dieses Brunnens findet, ist das Wasser Gottes!“
Verehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder, Kinder des einen Gottes, den wir als Christen Vater nennen: Ich wünsche uns allen, dass wir in diesen Tagen die Brunnen tiefer graben, um das Wasser Gottes zu finden. Und wer dieses Wasser findet, der begibt sich auf die „Wege des Friedens“. Ich wünsche uns ein gutes, herzliches, geschwisterliches Miteinander und danke Ihnen allen noch einmal für Ihr Kommen. Ich möchte meine Begrüßung nicht beenden, ohne vor allem aber auch denen zu danken, die in den letzten Monaten im Hintergrund viel gearbeitet haben, und die nun in diesen Tagen dazu beitragen, dass wir hier friedlich mit¬einander sprechen, nachdenken, beten und feiern. Ihnen allen sage ich ein herzliches: „Vergelt’s Gott!“
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