Engelmayer Rabbiner
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Ein durchaus interessanter Titel, schon allein deswegen, weil er sich völlig vielseitig und unterschiedlich interpretieren lässt. Zum Beispiel anhand folgender Fragen: Wird damit die Realität beschrieben oder ein Wunschdenken geäußert? Gibt es den Dialog und die Freundschaft oder soll es sie geben? Ist der Dialog der Weg zur Freundschaft? Und ist die Freundschaft die natürliche Konsequenz des Dialoges, oder ein mögliches Resultat?
Um diesen Fragen und möglichen Antworten von jüdischer Seite auf die Spur zu kommen, sollte das jüdische Verständnis von Dialog und Freundschaft untersucht werden, um dann mit einer Bestandsaufnahme verglichen feststellen zu können, wie es um diese Begriffe im christlich-jüdischen Verhältnis steht.
Befassen wir uns also kurz mit dem Begriff „Dialog“:
Eine interessante Quelle hierfür finden wir in den Sprüchen der Väter, 3,3: „Sitzen zwei zusammen und sprechen über Worte der Tora, so ist G“tt gegenwärtig, wie es heißt: (Malachi 3,16) `G“ttesfürchtige besprechen sich, einer mit dem anderen, denen wendet sich G“tt zu…`“ Unser Augenmerk sollte sich auf das sonst so nicht üblich verwendete Wort נדברו – sich besprechen - richten, denn üblicherweise sollte es דיברו – sie sprechen zu einander – heißen. Was die beiden Wortformen von einander unterscheidet ist die Art und Weise des Miteinander-Sprechens: Man kann zuhören, um sprechen zu können, man kann aber auch sprechen, um zuhören zu können. In einem Gespräch, gerade wenn es um Informations- und Meinungsaustausch geht, kann es den Teilnehmern darum gehen, zu den anderen zu sprechen, gehört zu werden, „ledaber“. Ein solches Gespräch kann als zweiseitiger Monolog, oder Monolog mit zwei Teilnehmern, bezeichnet werden. Ein wahrer Dialog entsteht, wenn es den Teilnehmern darum geht zuzuhören, den anderen und seine Ansichten und Meinungen wahrzunehmen und wirklich verstehen zu wollen. Beim Tora-Studium ist dies die unablässige Bedingung zur Wahrheitskristallisierung und –findung: der Austausch zweier Verständnisse, die Verschmelzung zweier Gehirne, um die Worte G“ttes richtig verstehen zu können – erst dann wird G“tt sich den Tora-Lernenden zuwenden. Deswegen ist die klassische Form des Tora-Studiums die „Chewruta“, das Lernen zu zweit. Übrigens, zur Ergänzung: Nur bei G“tt heißt es in der Tora (4. Buch Moses, 7, 89), daß G“ttes Stimme „middaber“ (und nicht „medaber“) quasi mit sich selber sprach, „Eigen-Monolog“ führte, und Mosche (Moses) daran teilhaben ließ, denn nur G“tt ist nicht darauf angewiesen, von einem Dialogpartner bereichert oder ergänzt zu werden.
Wenden wir uns nun dem Begriff „Freundschaft“ zu. Freundschaft ist was Gutes. Dies zeigt uns nicht nur die Lebenserfahrung, sondern wird auch vielfach von unseren Quellen unterstrichen. „Besser sind zwei als einer… denn wenn sie fallen, so richtet der eine seinen Genossen auf, wenn aber ein Einzelner fällt, so ist keiner da, ihn aufzurichten“, rät König Salomon im Buche Kohelet (Prediger 4, 9-10). Auch der Talmud konstatiert: „Oder Freundschaft oder Tod“ (Taanit 23b) – will heißen, daß ein Mensch als einzelnes Individuum, allein dastehend, nicht existieren kann und auf Gesellschaft und Mitmenschen angewiesen ist. So verwundern uns auch die Ratschläge der Sprüche der Väter nicht: „Erwirb dir einen Freund“ (1,6), „der gute Weg, den sich der Mensch wählen soll… ein guter Freund (sein/haben)…“ (2,13).
Rambam, Maimonides, der große mittelalterliche jüdische Gelehrte und Denker, unterscheidet zwischen drei verschiedenen Freundschaften:
1. Die nutzenorientierte Freundschaft; diese Freundschaft hält an, solange der gemeinsame Nutzen daraus vorhanden ist und Priorität genießt.
2. Die Freundschaft um der Verbindung willen; Beiden Seiten bringt die Verbindung Genuß, Vertrauen, Unterstützung und Beistand.
3. Die höchste und reinste Form der Freundschaft, losgelöst von Eigeninteressen: das gemeinsame Streben nach hohen Zielen und nach geistiger und charakterlicher Vervollkommnung; diese Freundschaft beinhaltet auch die Möglichkeit, sich gegenseitig auf Fehler hin- und zurechtzuweisen, aus dem gegenseitigen Verständnis und Vertrauen, daß dies erwünscht ist und aus reinen und guten alteruistischen Interessen geschieht!
Freundschaften können also verschiedener Natur sein und in verschiedenen Interessen ihren Ursprung haben.
Gehen wir nun über zur Realität des christlich-jüdischen Verhältnisses und beleuchten wir die Begriffe Dialog und Freundschaft und deren Verbindung aus dieser Perspektive:
Der Eintritt in den christlich-jüdischen Dialog jüdischerseits entspringt zunächst grundlegenden Bedürfnissen. In Europa als jüdische Minderheit während ca. 1,5 Jahrtausenden in einer christlichen Mehrheitsgesellschaft zu leben war, wie Sie wissen, nicht immer einfach, um es gelinde auszudrücken. Insbesondere vom 11. Jhd. bis zum Zeitalter der Aufklärung prägten unter anderem Pogrome, Verfolgungen und Vertreibungen, teilweise als offizielle Kirchenpolitik, teilweise durch die christliche Bevölkerung initiiert und religiös motiviert durchgeführt, das christlich-jüdische Verhältnis.
Eine große Wende erlebte dieses Verhältnis mit dem zweiten Vatikanischen Konzil und der Erklärung „nostra aetate“. Mit der Anerkennung des Judentums durch die katholische Kirche als legitime Religion, welche einen eigenen Heilsweg zu G“tt hat, ebnete sie den Weg zum wirklichen Dialog, der von nun an die früher üblichen Dispute zwischen Juden und Christen ablösen sollte. Für die jüdische Seite wird mit diesem bedeutenden Schritt ein im Mittelalter kaum denkbares Bedürfnis Wirklichkeit: Von der Kirche respektiert und anerkannt zu werden und ihr theologisch auf Augenhöhe begegnen zu können! Diese Voraussetzungen sind notwendig für einen wirklichen Dialog!
Aber nicht nur diese begleiten den Dialog, sondern auch ein ehrliches Interesse christlicherseits am Judentum und an der jüdischen Sichtweise, um darin die Wurzeln des Christentums zu entdecken, besser verstehen und sich selber besser definieren zu können! Diese Entwicklungen bieten eine völlig neue, von jüdischer Seite lang ersehnte und sehr willkommene Ausgangssituation und stellen die christlich-jüdischen Beziehungen auf eine ganz neue Basis.
Zwei Dinge sollten beim christlich-jüdischen Dialog besonders berücksichtigt werden, um diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Neben Gemeinsamkeiten der beiden Religionen treten oft die Unterschiede deutlich zutage – diese anzuerkennen und zu akzeptieren ist eine wichtige Voraussetzung für den aufrichtigen Dialog. Ebenso wichtig ist die Anerkennung einer gewissen Asymmetrie: Nicht immer kann für den einen gelten, was für den anderen gilt. Zum Beispiel: Das Christentum hat seine Wurzeln im Judentum, nicht aber umgekehrt. Dies hat zur Folge, daß das Christentum ein besseres Selbstverständnis anhand des Judentums entwickeln kann. Diese Abhängigkeit besteht aber nicht zwingend in Umkehrfolge: Das Judentum hat ein Selbstverständnis, welches nicht von der christlichen Sichtweise abhängt. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Christen können an jüdischen G“ttesdiensten teilnehmen, im Umkehrschluss ist für Juden aber die Teilnahme an christlichen G“ttesdiensten nicht möglich. Ein Umstand, mit dem die Gemeinschaft St. Egidio sehr respektvoll und würdig umgeht und schöne Wege gefunden hat, Zeremonien trotz Beschränkungen gemeinsam begehen zu können.
Der Respekt vor einander, die Zulassung und Akzeptanz verschiedener Meinungen und Auffassungen sind die Voraussetzungen nicht nur für einen aufrichtigen Dialog, sondern auch für eine wahre Freundschaft. Auch der Dialog selber, der Wunsch nach Austausch und das echte Interesse am anderen, sind Voraussetzungen für eine wahre Freundschaft. Dies können wir dem oben schon erwähnten Zitat entnehmen: „G“ttesfürchtige besprechen sich, einer mit seinem Freund…“ – durch das Sich-Besprechen entsteht die Freundschaft!
Persönliche Freundschaften zwischen Vertretern des Christentums und des Judentums hat es immer wieder gegeben, doch den Weg dafür auch offiziell geöffnet haben insbesondere die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, in der Hoffnung, daß diese auch ohne Rückschläge weiter fortgesetzt werden können. Auf allen drei von Rambam aufgeführten Ebenen kann eine solche Freundschaft ansetzen und sinnvolle Bedeutung tragen: Sowohl vom gemeinsamen Nutzen, als auch vom Genuß, dem Vertrauen und der gegenseitigen Stütze dieser Partnerschaft, sowie auch von der Möglichkeit, sich gegenseitig spirituell zu bereichern, her.
Die Gemeinschaft der St. Egidio begeht diesen Weg mit visionärem Mut und bereitet mit der Schaffung eines Forums für einen echten Dialog auch die Voraussetzungen für eine Vielzahl interreligiöser Freundschaften, welche hoffentlich zur gemeinsamen Harmonie und Frieden einen bedeutenden Beitrag leisten können. |