Als die Nationalsozialisten am 28. September 1941 Kiew besetzten, verbreiteten sie eine Anordnung, dass sich alle Juden der Stadt bei Sonnenaufgang des folgenden Tages in der Nähe des jüdischen Friedhofs einzufinden haben. Viele waren überzeugt, dass sie in eine andere Stadt umgesiedelt werden würden.
Am Morgen des 29. September zog eine aus Familien, alten Menschen, Müttern mit ihren Kindern und Jugendlichen bestehende Menschenmenge die L'vovskaja-Straße entlang. Es war "ein Todeszug", wie es der Dichter Lev A. Ozerov bezeichnete, der bis zur Nacht andauerte und am folgenden Tag fortgesetzt wurde. Als sie an der Grube von Babij Jar angekommen waren, wurde den Juden Besitz und Kleidung genommen, sie wurden an den Rand des Abhangs geführt und erschossen, die Körper fielen einer nach dem anderen in die natürliche Grube.
An zwei Tagen wurden 33.771 Juden getötet. Die Hinsichtungen hatten mit der Erschießung von einigen Hundert Kranken in der Psychiatrie und der Bewohner von zwei Romalagern begonnen. Der Ort der Erschießungen blieb während der ganzen Dauer der nationalsozialistischen Besatzung von Kiew "in Betrieb", es wurden weiter Juden, Kriegsgefangene und Bürger Kiews erschossen.
Das Gedenken an Babij Jar bleibt für Kiew von entscheidender Bedeutung. Der jüdische Schriftsteller Icik Kipnis schrieb am dritten Jahrestag des Massakers: "Am 29. September gehen die Leute aus allen Vierteln der Stadt nach Babij Jar. Aus tiefster Seele bitte ich euch nur um Eines: Meine Freunde, fahrt nicht mit der Straßenbahn, sondern geht nur zu Fuß. Gehen wir durch die Straßen und auf den Wegen, die bis zum Rand von unseren noch lebenden Brüdern angefüllt waren".
Dieses Jahr fand mitten in der Stadt in Podol, dem alten Viertel, in dem vor dem Krieg viele Juden lebten, ein Lichtergedenkzug statt mit dem Titel: "Babij Jar - ohne Erinnerung keine Zukunft". Die Idee zu diesem Zug entstand bei der im September 2011 organisierten Tagung zum siebzigsten Jahrestag des Gemetzels und wurde gemeinsam von der Gemeinschaft Sant'Egidio und der jüdischen Gemeinde der Stadt eingebracht.
Viele Jugendliche aus Kiew haben sich der Gemeinschaft Sant'Egidio zu diesem Gedenkzug angeschlossen. Mit Kerzen zogen sie durch die Straßen der Stadt, um das Gedenken an die unschuldigen Opfer zu ehren und zu sagen, dass sie eine Welt aufbauen möchten, in der niemand Gewalt oder Erniedrigung wegen ethnischer, religiöser oder sozialer Herkunft erfahren muss.
Ioanna Evgen'evna , eine Zeugin der Erschießungen, richtete einen Appell an die Jugendlichen. Mit dreizehn Jahren lebte sie in einem Haus neben der Grube und gemeinsam mit ihren Schwestern und Brüdern sah sie die Erschießungen. Sie setzte ihr Lebens aufs Spiel, als ihre Familie zwei Juden rettete. Am Ende ihrer Erzählung über die erlebten Grausamkeiten, wandte sich Ioanna an die Jugendlichen: "Wer sagt, das sei nicht geschehen, dem sage ich: Ich habe alles mit eigenen Augen gesehen. Wir sind Christen, wir vergeben allen. Doch wir wollen eine solche Tragödie niemals wiedersehen!"
Nach dieser Rede sprach Boris Zabarko, der Vorsitzende des Vereins jüdischer Kinder, die Opfer des Ghettos und der Konzentrationslager geworden sind und im Ghetto der Stadt Šarov in der Ukraine interniert wurden. Er dankte den Jugendlichen für ihren Wunsch, das Gedenken zu bewahren und weiterzugeben.
Viele Jugendliche schlossen sich dem Zug an, die am dritten Internationalen Treffen "Europäische Jugendliche in Auschwitz für eine gewaltfreie Welt" teilgenommen haben. Einer von ihnen las den Schlussappell des Treffens: "Gemeinsam wollen wir eine gewaltfreie Welt aufbauen. Von Auschwitz wird ein neuer Horizont der Menschlichkeit für unsere Länder sichtbar! Von diesem Ort geht eine Bewegung der Herzen aus, die weitere Jugendliche wie uns anstecken möchte".
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