Die Gemeinschaft Sant'Egidio und die Erzdiözese Vrhbosna-Sarajewo organisieren in enger Zusammenarbeit mit dem serbisch-orthodoxen Patriarchat, der islamischen Gemeinde und der jüdischen Gemeinde von Bosnien-Herzegowina die größte Veranstaltung zum religiösen und politischen Dialog in der Zeit nach dem Krieg bis heute.
Vom 9. bis 11. September 2012 werden mehrere Hundert Religionsoberhäupter aller Richtungen vom Balkan und aus der übrigen Welt mit Vertretern aus Kultur und Politik auf Einladung der Gemeinschaft Sant'Egidio und von Kardinal Vinko Puljic in Sarajewo zusammenkommen, um sich mit Fragen der heutigen Welt und des Zusammenlebens an einem symbolträchtigen Ort der Zeitgeschichte zu beschäftigen.
Diese Ankündigung geschieht anlässlich des zwanzigsten Jahrestages des Belagerungsbeginns von Sarajewo.
Die Initiative wird von allen regierenden Einrichtungen Bosnien-Herzegowinas unterstützt. Die Teilnahme der Oberhäupter der großen Religionen, von Staatsoberhäuptern und Vertretern der internationalen Kultur und Politik ist vorgesehen.
Die Veranstaltung findet in der Reihe der jährlichen interreligiösen Treffen - nach dem 25. Treffen von München - statt, die von der Gemeinschaft Sant'Egidio im Geist von Assisi organisiert werden, dem historischen Gebetstag, zu dem der selige Johannes Paul II. 1986 eingeladen hatte.
Das Treffen von Sarajewo, einem Ort von Leid und Hoffnung mit einer Jahrhunderte alten Tradition des Zusammenlebens unterschiedlicher Gruppen, möchte die Kultur des Zusammenlebens als europäischen Wert und als Vorschlag Europas für die ganze Welt in den Mittelpunkt stellen.
Auszüge aus dem Programm: Eröffnungsveranstaltung am Sonntag, 9. September nachmittags, 30 Podien zu wichtigen Fragen des ökumenischen und interreligiösen Dialogs, des Zusammenlebens und der Friedensarbeit in den heutigen Gesellschaften, Schlussveranstaltung am Dienstag, 11. September in der Altstadt mit Verlesung und Unterzeichnung eines gemeinsamen Friedensappells.
Am Donnerstag, 26. April um 11.00 Uhr findet in Sarajewo im Saal des Priesterseminars, dem Ort des historischen Besuchs von Johannes Paul II. von 1997, eine Pressekonferenz statt, bei der die Veranstaltung vorgestellt wird.
Internationale Medienvertreter müssen sich akkreditieren (Piazza di Sant'Egidio 3A - I-00153 Rom/Italien - Tel. 3906585661 - Fax 39065883625 - [email protected])
Sarajewo - 20 Jahre danach ...
Genau am 5. April 2012, dem Gründonnerstag der Karwoche der katholischen Kirche, jährt sich zum zwanzigsten Mal der tragische Krieg in Bosnien-Herzegowina und das Drama der Belagerung der Stadt Sarajewo.
Es war die längste Belagerung im 20. Jahrhundert von April 1992 bis Februar 1996. Vier Jahre Gewalt, Leid, tägliche Bomben ... und ein ganz besonderer Lärm, an den sich meine Ohren gewöhnt mussten, sodass ich jetzt ein Hörgerät brauche, weil ich in jenen Jahren das Gehör verloren habe.
Zwanzig Jahre später - es ist eine kurze Zeit - ist es nicht einfach, über das Geschehen von Sarajewo zu sprechen, einer Stadt mit einem Jahrhunderte alten Zusammenleben zwischen Christen, Juden und Muslimen. Aber auch eine Stadt mit Konflikten und Leid. Sarajewo steht gewissermaßen für den Beginn und das Ende aller Kriege im 20. Jahrhundert. Denn in Sarajewo begann am Anfang des vergangenen Jahrhunderts der Erste Weltkrieg. In Sarajewo fand der letzte Konflikt des 20. Jahrhunderts statt. Sarajewo ist eine Stadt voller Leid und Hoffnung. Bei seinem historischen Besuch von 1997 nannte Johannes Paul II. Sarajewo das "Jerusalem Europas" ...
Doch was geschah in Sarajewo? Ein grausamer und sinnloser Krieg - wie jeder Krieg - der bei vielen zur Überzeugung geführt hat, dass Katholiken, Orthodoxe, Muslime und Juden nicht mehr zusammenleben können. Es kam zu einem Konflikt zwischen Kroaten, Serben und Bosniern. Diese verschiedenen Völker lebten viele Jahrhunderte lang zusammen, doch plötzlich stehen sie vor Spaltungen und Konflikten...
Als Bischof der Stadt wollte ich dort bleiben. Ich war der Hirte für alle Einwohner Sarajewos. Ich bin nicht geflohen. Ich blieb bei meinen Leuten während der vierjährigen Belagerung und habe täglich Anteil genommen am Leid und an jeder zarten Zukunftshoffnung. Doch gab es noch eine Zukunft? Welche Zukunft war das mit über 11.000 Todesopfern durch tägliche, zufällig geworfene Bomben vom Morgen bis zum Abend, von Kanonen auf den Bergen rings um die Stadt? Zweitausend Kinder von Juden, Christen und Muslimen kamen ums Leben, deren Namen alle gemeinsam auf fünf Säulen auf dem zentralen Platz der Stadt geschrieben wurden. Und viele andere leiden noch unter Tumoren durch angereichertes Uran, das bei den Bombardierungen verwendet wurde... Doch es musste für alle eine Zukunft geben... Wir sind Christen, wir lieben das Leben, wir glauben, dass eine Zukunft immer möglich ist, dass der Krieg niemals das letzte Wort hat...
Es gibt viele persönliche Erinnerungen an diese Orte, an diese unendlichen Jahre... Ich wollte der Bischof für alle sein, für Katholiken, Orthodoxe, Juden und Muslime und auch für Nichtgläubige. Ich verstand besser, dass ein Bischof vielleicht immer, ja immer berufen ist, ein Bischof für alle zu sein, auch wenn es inmitten der Gewalt des Krieges dringender und vielleicht deutlicher wird.
Ich möchte auch über die Bedeutung der Freundschaft und des Kontakts mit den anderen sprechen, wenn man allein und vom Bösen umgeben ist, wenn man täglich bedroht und belagert ist wie in Sarajewo. Ich denke an die Freundschaft und tiefe Kommunion mit Johannes Paul II. Ich denke an die Treffen mit ihm im Januar 1993 beim Gebet für den Balkan in Assisi. Es war noch während der Belagerung.
Zwanzig Jahre nach der Tragödie des Krieges und der Belagerung von Sarajewo möchte ich Ihnen mit Freude ankündigen, dass wir mit der Gemeinschaft Sant'Egidio ein großes internationales Friedenstreffen in Sarajewo vorbereiten. Es wird vom 9. bis 11. September dieses Jahres stattfinden und Vertreter der christlichen Kirchen und der großen Religionen zusammenführen, um gemeinsam Nein zu sagen zu Krieg, Gewalt und Spaltung. Sie wollen sagen, dass es für alle eine Zukunft gibt und dass die Zukunft nur das Zusammenleben ist. Ohne Zusammenleben gibt es keine Zukunft für Sarajewo, Bosnien-Herzegowina, Europa und die ganze Welt.
Ich hoffe wirklich, dass eine wichtige Botschaft von Sarajewo ausgeht und sich in allen Ländern und Völkern und auf der ganzen Welt verbreitet. Sarajewo, die Stadt von Trennungen, Leid und Krieg kann zur Stadt des Friedenstraumes für Europa und die ganze Welt werden. Friede, Zusammenleben und Gleichheit. Ich lade alle ein, im kommenden September zu uns nach Sarajewo zu kommen.
5. April 2012
Brief S.Em. Vinko Kardinal Puljic
Erzbischof von Vrhbosna-Sarajevo |