Weil das Verfallsdatum des Giftes Ende diesen Monats abläuft, sollen im US-Bundesstaat Arkansas noch acht Gefangene hingerichtet werden. Für den Pfarrer und Aktivisten Matthias Leineweber eine groteske Situation, wie er domradio.de verriet.
domradio.de: Bevor das Gift schlecht wird, wollen sie in Arkansas noch schnell acht Menschen hinrichten. Verschlägt es Ihnen bei dieser Begründung nicht die Sprache?
Matthias Leineweber (Katholischer Pfarrer und Aktivist der Gemeinschaft Sant' Egidio gegen die Todesstrafe): Ja, in der Tat. Das kann man überhaupt nicht begreifen, wie Menschen in einem Land, wo immerhin trotz der Existenz der Todesstrafe zivilrechtlich hohe Standards angelegt werden, im Umgang mit dieser Strafe so eine Entscheidung fällen können. In den letzten Jahren hat sich ja auch eine Tendenz gezeigt, immer weniger Menschen hinzurichten und die Fälle genau zu prüfen. Insofern ist es unbegreiflich, was da jetzt passiert.
domradio.de: Hinzu kommt noch, dass das Gift, um das es geht, sehr umstritten ist. Es soll bei früheren Hinrichtungen entsetzliche Zwischenfälle gegeben haben. Wissen Sie etwas darüber?
Leineweber: Es haben Menschen teilweise stundenlang mit dem Tod gerungen. Nach einer gewissen Zeit ist es so, dass dann ein Arzt eingeschaltet werden muss. Ein Fall stellte sich so dar, dass beim Eintreffen des Arztes der Todeskandidat nach langem Ringen einen Herzinfarkt erlitten hatte. Es wurde daraufhin eine medizinische Hilfe eingeleitet. Nach mehreren Stunden ist er aber dann doch verstorben. Grausameres Sterben kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen.
domradio.de: Acht Hinrichtungen in so kurzer Zeit, das wäre die größte Hinrichtungswelle in den USA seit 40 Jahren. Welche Rolle spielt es, dass mit Donald Trump jetzt ein Mann im Weißen Haus sitzt, der sich immer wieder als überzeugter Verfechter der Todesstrafe geäußert hat?
Leineweber: Ich denke, dass es momentan eine Mentalität gibt, Stärke zu zeigen. Man will Amerika wieder stark machen. Man will mit Macht auch Gewalt und Verbrechen bekämpfen. Das spielt schon im Bewusstsein eine Rolle und kann in solchen Bundesstaaten politische Entscheidungen mit beeinflussen. Das ist ganz klar.
domradio.de: Die New York Times spricht in einem Artikel von einer "staatlich sanktionierten Mordserie". Finden Sie das angemessen?
Leineweber: Das ist schwierig zu beantworten. Ich gehe davon aus, dass trotzdem alle Fälle immer noch zivil- und strafrechtlich geprüft sind. Ich gehe nicht davon aus, dass es eine Maßnahme ist, die staatlich angeordnet wurde. Allerdings hat der Gouverneur in den Bundesstaaten der USA eine sehr große Entscheidungsvollmacht, um in solchen Situationen eine Hinrichtung zu verhindern oder in Zweifelsfällen aufzuschieben. Es kommt jetzt ganz stark auf diesen Gouverneur von Arkansas an, Einfluss zu nehmen.
domradio.de: Werden die Hinrichtungen tatsächlich vollzogen oder haben die Verurteilen doch noch eine Chance - etwa per Gnadengesuch des Gouverneurs? Wie schätzen Sie das ein?
Leineweber: Das ist die einzige Möglichkeit. Unsere einzige Hoffnung ist, dass jetzt auch die Zivilbevölkerung im rechtlichen Rahmen mobilisiert wird und dass die Rechtsbeistände noch einmal alle möglichen Wege einschlagen. Bei den acht Fällen ist es aber ganz unterschiedlich, einen guten Rechtsbeistand zu bekommen. Das ist leider nicht immer möglich. Daher ist es jetzt umso wichtiger, dass sich die Zivilbevölkerung - auch außerhalb der USA - mobilisiert und an den Gouverneur wendet.
domradio.de: Sehen Sie eine realistische Chance, dass die Todesstrafe in absehbarer Zeit in den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschafft wird?
Leineweber: Mut macht eigentlich die Tendenz der vergangenen Jahre. In den vergangenen zehn bis zwölf Jahren, also nicht nur unter der Ägide von Präsident Obama, gab es einen eindeutigen Meinungsumschwung hin zu einer Abschaffungstendenz der Todesstrafe. Die Mehrheit der Bevölkerung neigt inzwischen dazu, sich gegen die Todesstrafe auszusprechen. Und in den letzten acht Jahren haben immerhin sieben Bundesstaaten, zuletzt Nebraska, die Todesstrafe abgeschafft. Das ist eine sehr wichtige Tendenz. Es sind 19 von 50 Bundesstaaten, die die Todesstrafe nicht mehr anwenden.
domradio.de: Sie engagieren sich bei Sant' Egidio schon lange gegen die Todesstrafe. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Leineweber: Das kommt aus unserer christlichen Haltung. Wir stehen kurz vor der Karwoche, feiern dann Ostern. Die Planungen der Hinrichtungen sollen absurderweise gerade in der Osterwoche sein. Uns liegt es daran, angesichts des Gedenkens an die Kreuzigung Jesu, besonders wachzurütteln. Das größte Fehlurteil der Geschichte ist doch der Prozess Jesu gewesen, wo ein Unschuldiger zum Tode verurteilt wurde. Das allein schon ist ein wichtiges Argument für uns Christen, sich gegen die Todesstrafe auszusprechen. Als Christen haben wir im Angesicht des Kreuzes auch immer die Aufgabe, Vergebung zu fördern und die Menschen auf einen neuen Weg zu führen. Christen sind Menschen der Hoffnung.
Gemeinschaft Sant'Egidio
Die im Mai 1968 in Rom entstandene katholische Bewegung Sant'Egidio widmet sich der karitativen Arbeit, der Diplomatie in Bürgerkriegsgebieten sowie dem Dialog der Religionen. Sie hat nach eigenen Angaben rund 60.000 Mitglieder in 70 Ländern, davon 5.000 in Deutschland. Ihr Hauptsitz befindet sich im römischen Stadtteil Trastevere; ihr deutsches Zentrum ist seit 1983 Würzburg. Seit 1986 ist die ökumenisch stark engagierte Gemeinschaft von der katholischen Kirche als Laienvereinigung anerkannt. Finanziert wird ihre Arbeit durch Mitgliedsbeiträge, Spenden sowie durch öffentliche Zuschüsse.
Gründer der Gemeinschaft ist der italienische Historiker Andrea Riccardi (66). Für seinen Einsatz für Frieden wurde er 2009 mit dem Aachener Karlspreis ausgezeichnet. Wegen ihrer vielfältigen informellen Kontakte zu Politikern und Kirchenführern konnte die Vereinigung in mehreren bewaffneten Konflikten vermitteln.
Ihre größte diplomatische Leistung ist der "Friedensvertrag von Rom", mit dem 1992 der 15-jährige Bürgerkrieg in Mosambik beendet wurde.
Andere besondere Aktivitäten liegen in der internationalen Ächtung der Todesstrafe und in einem Anti-Aids-Programm in Afrika. Ein neueres Projekt ist der Aufbau eines Melderegisters für Neugeborene in mehreren afrikanischen Staaten.
Besonders widmet sich die Gemeinschaft auch der Fortsetzung des Weltfriedensgebets von Assisi. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) hatte 1986 erstmals Religionsführer aus aller Welt zu einem Treffen in der mittelitalienischen Stadt zusammengerufen. Seither veranstaltet Sant'Egidio jährlich internationale Folgetreffen. (kna/Stand 19.09.16)